Ganz und gar kein Heimspiel

DEBÜTANTIN Karin Beier, die im Herbst dieses Jahres die Intendanz des Hamburger Schauspielhauses übernimmt, ertrug bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt allerlei – um sympathisch zu wirken

Die Hamburger freuen sich mit ihr: auf das Ende der Vakanz nach zweieinhalb Jahren

Stellen Sie sich den Heizer einer Dampflok vor, der ordentlich Schwarzes in den Kohlenwagen wirft und losstocht – um dann sofort zu bremsen. Der Kohlen nachwirft – und wieder bremst. Aus nicht erkennbarem Grunde.

So in etwa ging es am Dienstag Abend in Hamburgs Literaturhaus zu. Da saß nämlich Karin Beier, Ab-Herbst-Chefin des Schauspielhauses, erstmals auf einem öffentlichen Podium in Hamburg. Ihr Gesprächspartner war der Theaterkritiker und Spiegel-Autor Wolfgang Höbel. Der hat ein Buch über Beier geschrieben, weiß also eigentlich schon fast alles. Zumindest sollte er die Daten ihrer Vita kennen, vermutet der naive Zuhörer – aber mitnichten: Höbel ist ungenau, irrt sich. Karin Beier korrigiert ihn auf offener Bühne.

Man ist peinlich berührt und fragt sich: Ist der Mann nicht vorbereitet? Hat er überhaupt Interesse am Dialog? Er fragt zum Beispiel, warum sie sich für Regie entschied – doch kaum hat sie angehoben, will er wissen, ob sie mal Schauspielerin werden wollte. Nach einer halben Antwort forscht er nach ihren Vorbildern.

So geht es weiter, und irgendwann ist klar: Dies ist kein Dialog, sondern das seltsam mechanische Abhaken einer Liste von Fragen, und man weiß nicht so recht: Ist dies eine Pflichtübung? Warum führt er nicht einfach ein ganz normales Gespräch mit dieser agilen, eloquenten Frau, die so sympathisch rüberkommt? Stattdessen diese krampfige Veranstaltung mit Double Bind: Unterm Tisch ballt der Autor die Fäuste, über der Tischplatte lächelt er – es ist, als wolle er die Lok nicht fahren lassen.

Dabei spürt man, dass sie es könnte. Karin Beier, bundesweit gehyptes Wunderkind, ist eine temperamentvolle, ungeduldige Regisseurin, an deren Arbeitstempo schon mancher Assistent verzweifelte. Da ist es schon bitter zu sehen, wie sie diesen Literaturhaus-Abend tapfer erträgt. Wie sie lauscht – hoffend offenbar, dass der Frager auf den Punkt kommt. Wie sie zuckt und sich dann blitzschnell im Griff hat, wenn er sie wieder einmal unterbricht.

Denn die 47-jährige Intendantin in spe weiß, dass das kein Heimspiel ist. Dass sie das Hamburger Publikum nicht einschätzen kann, und dass sie möglichst sympathisch wirken muss auf die Schauspielhaus-Stammbesucher, den früheren Kultursenator und andere Lokalgranden: Sie sind alle gekommen, und der Saal ist so voll, dass sich der Buchhändler mit der Presse um die Stühle streiten muss.

Ja, es scheint als wollten wirklich alle sie sehen – jene Frau, die als Kölner Intendantin erst für, dann gegen den Abriss des dortigen Schauspielhauses votierte und sogar als Pappfigur auf einen Karnevalswagen kam. Die bei ihren Vertragsverhandlungen im Hamburger Wahlkampf so schlau war, beiden Bürgermeisterkandidaten weitreichende Subventionserhöhungen abzuhandeln.

Intendanzen seien eigentlich nie Teil ihrer Lebensplanung gewesen, sagt Karin Beier, und deshalb habe sie oft aus einer Position der Stärke verhandelt. Außerdem zählt sie zu einer Generation junger Regisseure, die ausdrücklich gefördert worden sind. Natürlich: Ohne ihr Team, sagt sie, hätte sie das nicht geschafft. Aber auch nicht ohne die „narzisstischen Störungen, die wir Theaterleute alle haben“.

Es klingt ehrlich, aber es ist auch Koketterie. Die Hamburger lachen trotzdem und freuen sich mit ihr: auf das Ende der Vakanz an der Schauspielhaus-Spitze nach Friedrich Schirmers Weggang vor zweieinhalb Jahren. Und darüber, dass es Karin Beier schließlich doch noch gelingt, den Moderator zu bändigen. Wie das? Sie hat einfach weitergeredet – und ihr Gegenüber übertönt. Eine bewährte Kölner Methode.  PS