Wirtschaft brummt, Arbeitslose bleiben

HWWI prognostiziert für 2006 ein verhältnismäßig hohes Wachstum. Mehr sozialversicherungspflichtige Jobs werde es dadurch aber noch lange nicht geben. Forderungen: Kündigungsschutz abschaffen und Mehrwertsteuer schrittweise erhöhen

von Gernot Knödler

Die deutsche Wirtschaft wird im kommenden Jahr mit 1,4 Prozent für ihre Verhältnisse stark wachsen. Nach Einschätzung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI, ehemals HWWA) handelt es sich dabei aber lediglich um ein Zwischenhoch und nicht um eine dauerhafte Wende zum Besseren. Insbesondere auf das Angebot an Arbeitsplätzen werde sich die gute Konjunktur kaum auswirken, prognostizierte HWWI-Präsident Thomas Straubhaar. „Wenn das nicht alle Alarmglocken klingeln lässt, dass wir mit der herkömmlichen Arbeitsmarktpolitik am Ende sind, dann weiß ich nicht, was noch passieren soll“, sagte der Professor.

Abgesehen vom Arbeitsmarkt sehen die Forscher vom HWWI alles rosig. Die Weltkonjunktur werde weiter brummen und für Nachfrage aus dem Ausland sorgen. Die Exporte würden noch eine Weile von der Abwertung des Euro in diesem Jahr profitieren. Die Unternehmen seien verstärkt bereit zu investieren, ebenso die Kommunen, deren Finanzlage sich 2006 verbessern werde. Der private Verbrauch allerdings werde weiter schwächeln. „Das Grundproblem der ganzen Ökonomie in Deutschland ist, dass die Konjunktur keinen positiven Einfluss auf den Arbeitsmarkt hat“, sagte Straubhaar.

Trotz eines passablen Wirtschaftswachstums von 0,8 Prozent werde die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr auf 4,86 Millionen steigen. Selbst wenn man die allein durch Hartz IV nominell hinzu gekommenen Arbeitslosen herausrechne, bleibe es bei einem Anstieg. 2006 werde bei einem Rückgang der Arbeitslosenzahl auf 4,75 Millionen kaum Linderung bringen, insbesondere weil immer weniger Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien.

„Es ändert alles nichts“, sagte Straubhaar. „Die auf hohem Niveau verfestigte Arbeitslosigkeit, die unzureichende Dynamik, neue Beschäftigung zu erzeugen, selbst in konjunkturell für Deutschland guten Zeiten, sind schlüssige und unbestreitbare Belege für den Schiffbruch der bisherigen Arbeitsmarktspolitik.“ Die kleinen bisherigen Änderungen hätten allenfalls eine noch höhere Arbeitslosigkeit verhindert.

Straubhaar beschwor die Bundesregierung und die Länder, den Mini-Aufschwung 2006 als Chance zu nutzen, um grundlegende Reformen einzuleiten. Das hieße: den Kündigungsschutz durch im Voraus vereinbarte Abfindungen ersetzen; die Lohnnebenkosten auf Null senken und Arbeitslosen-, Renten-, Pflege- und Krankenversicherung über Steuern finanzieren.

Ohne Kündigungsschutz sinke das Prozessrisiko für die Firma, womit ein Einstellungshindernis wegfalle. Ein Arbeitsrecht, das bestehende Beschäftigungsverhältnisse auf Kosten der Arbeitssuchenden schütze, sei in einer Zeit des ständigen Wandels überholt. Die Kosten der Sozialversicherung aus den Arbeitslöhnen zu finanzieren, wirke wie eine Strafsteuer auf Arbeit.

Für das kommende Jahr empfahl Straubhaar der Bundesregierung, ihr geplantes Konjunkturprogramm im Umfang von 25 Milliarden Euro zu verschieben: „Wir haben im kommenden Jahr kein Konjunkturproblem.“ Außerdem solle sie die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent stückeln. Auf diese Weise könnte sie den Schock für die Wirtschaft dämpfen und zugleich ihr Gesicht wahren.