Da fröstelt Bacchus

Im Mittelalter wurden Weinpanscher ersäuft, heute will der Markt die satte Frucht und bekommt sie auch: Der EU-Ministerrat hat dem Weinabkommen zwischen der EU und den USA zugestimmt

VON TILL EHRLICH

Der EU-Ministerrat hat am Dienstag dem umstrittenen Weinabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA zugestimmt. Als „große Niederlage für die europäischen Winzer und Verbraucher“ wertet der Deutsche Weinbauverband (DWV) die Entscheidung. Und Spitzenwinzer Reinhard Löwenstein von der Mosel verschickte flink E-Mails, in denen er den 20. Dezember zum „schwarzen Dienstag der europäischen Weinkultur“ erklärt. Auch Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) sprach von „Kunstweinen aus den USA“, die den deutschen Markt fortan ungestraft „überschwemmen“ würden.

Da fröstelt Bacchus. Der amerikanische Heuschreckenkapitalismus greift in seiner Profitgier nach den letzten Tabus unserer abendländischen Kultur. „Die Amerikaner“ schrecken einfach vor nichts zurück. Ausgerechnet der Wein, das heidnische Ursymbol für den Lebenssaft der Natur, den das Christentum im Abendmahl zum Blut Christi umcodierte. Dieser „heilige“ Saft soll nun ungestraft geschändet werden dürfen: Aromatisiert und gefärbt, in seine Bestandteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Und obendrein wollen ihn die Amerikaner noch „nassverbessern“, ihn mit Wasser verdünnen. Die Büchse der Pandora ist damit geöffnet. Dem Mittelalter war der Wein noch heilig, er wurde drastisch verteidigt. Weinpanschern wurden die Hände abgehackt, sie wurden eingemauert oder im gepanschten Wein ersäuft. Danach mag sich in diesen Tagen so mancher deutsche Weinlobbyist im Stillen sehnen.

Die neuen Technologien der Weinherstellung wurden fast alle in Kalifornien entwickelt. Die dortigen Weinkonzerne wie Ernest & Julio Gallo oder Constellations Brands sind börsennotierte, global agierende Unternehmen. Sie wollen ihre Markenweine weltweit verkaufen. Deshalb müssen sie auf den kleinsten gemeinsamen geschmacklichen Nenner reduziert werden. Babygeschmack – süßlicher Fruchtgeschmack. Mit Biotechnik und Enzymen wird der Wein in die gewünschte Richtung gebracht. Resultat sind Konsumweine, die dank ihrer kuschelweichen Fruchtigkeit schon mit dem ersten Schluck beeindrucken sollen. Dabei geht es um einfache Frucht- und Gewürzanalogien, um die schnelle Widererkennbarkeit von Brombeere, Pfirsich oder Vanille. Die kalifornische Weinindustrie hat viel in diese Weinbereitungsverfahren investiert. Und sie hat gute Kontakte zur Bush-Administration. Sie hat das Weinabkommen im Sinne ihrer Klientel gegenüber den Europäern durchgesetzt.

Die Amerikaner haben ein Druckmittel, dass große Weinexportländer wie Frankreich, Italien und Spanien butterweich macht: Der US-Markt, derzeit der drittgrößte Wein-Verbrauchermarkt, in wenigen Jahren wird er an erster Stelle sein. Weltweit gibt es eine Wein-Überproduktion, der Verbrauch stagniert, außer in den USA: im letzten Jahr hat die EU Wein für 2,5 Milliarden Euro in die USA exportiert.

Doch was bedeutet das Weinabkommen für den Weingenuss? Der Markt wird sich noch weiter teilen. In handwerklich erzeugte Winzerweine und in Industrieweine. In Weine für Arme und Reiche. Die billigen Konsumweine dominieren heute schon die Discounter. Sie werden aus billigstem Traubensaft erzeugt, der mittels Technik in marktfähige Form gebracht wird. Genuss geht jedoch anders.

Das Besondere am Wein ist, dass er unsere sinnliche Wahrnehmung schärfen kann. Vorausgesetzt, man genießt ihn bewusst und in Maßen. Weingenuss ist das Gegenteil von Rausch und schnöder Betäubung durch Alkohol, denn die Botschaft des Weines und seiner Geschmackswelten ist Faszination. Sie sagt uns etwas über die Handschrift des Winzers und über das Jahr, in dem die Trauben wuchsen. Ein authentischer Wein schmeckt deshalb in jedem Jahr verschieden, schmeckt nach Trauben, Regen und Sonne. Und er schmeckt nach dem oft Millionen Jahre alten Gestein, in dem die Weinstöcke wurzeln. Seine Spuren klingen in der Mineralität des Weins nach. Sie sind im Glas sinnlich erlebbar.

Konsumweine sind Marken, sie müssen immer gleich schmecken. Wie Coca-Cola. Sie nivellieren daher die natürliche Divergenz des handwerklichen Weins. Etwa den schmeckbaren Unterschied der Jahrgänge. Das eigentliche Problem sind jedoch nicht die neuen Technologien, sondern dass die industriellen Weinerzeugungsmethoden nicht auf dem Etikett deklariert werden sollen und fortan wie Naturprodukte verkauft werden dürfen. Dass sie neben Bioweinen im Regal stehen und simulieren, Wein zu sein.