Versöhnung nach Regeln des Kapitals

Auf dem Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers und Erzbergwerks Omarska in Westbosnien soll nach dem Willen des Stahlkonzerns Mittal eine Gedenkstätte für die Opfer entstehen. Die Firma möchte die Produktion bald wieder aufnehmen

Die Täter schweigen und wollen nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden

AUS BANJA LUKA ERICH RATHFELDER

Als im Hotel „Atina“ in Banja Luka ein riesiger Bildschirm aufleuchtet, ist das für manche Besucher ein Anlass zur Freude. Denn für das, was dort zu sehen ist, haben die Überlebenden der Gefangenenlager in Westbosnien jahrelang gekämpft. Vor 13 Jahren musste Rezak Hukanović vor seinen Folterern niederknien. Heute darf der überlebende ehemalige Gefangene und Autor des Buchs „Der Zehnte Kreis der Hölle“ der Öffentlichkeit das Modell einer Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers und Erzbergwerks Omarska vorstellen.

Das Denkmalprojekt wurde möglich, weil der weltgrößte Stahlkonzern, Mittal Steel Europe, im April 2004 etwas mehr als 50 Prozent der Anteile des alten Erzbergwerks gekauft hat. Die in 16 Ländern produzierende indisch-britische Firma will hier in Zukunft wieder Erz in großem Stil fördern. Omarska war vor dem Krieg in Bosnien Lieferant für das Stahlwerk der 100 Kilometer entfernt liegenden Stadt Zenica. Das soll es heute wieder werden. Denn Mittal Steel hat auch das Werk in Zenica gekauft und will an beiden Standorten tausende von Arbeitsplätzen schaffen.

Mit dem Kauf des Bergwerks wurde die Firma aber auch mit der Vergangenheit konfrontiert. Erst nach dem Kauf der Anlage wurde den Managern der Firma nämlich so richtig klar, auf welchem Terrain sie sich befanden. Denn auf dem weitläufigen Gelände des Erzbergwerks von Omarska sind zwischen 750 und 900 Menschen ermordet worden. Mehrere tausend gefangene Muslime und Kroaten aus der Gemeinde Prijedor, zu der Omarska gehört, haben im Sommer 1992 das Lager durchlaufen. Genaue Zahlen gibt es noch immer nicht. Fest steht bisher, dass im Zuge der „ethnischen Säuberungen“ von den damals 38.000 im Bezirk Prijedor lebenden muslimischen und kroatischen Zivilisten 3.227, unter ihnen 246 Frauen und 122 Kinder, ermordet wurden. „Wir rechnen mit insgesamt 4.000 Toten,“ sagt Mirsad Duratović, Mitglied einer Opferorganisation. Die Namen von hunderten, die damals dem Straßenterror zum Opfer fielen, seien noch gar nicht registriert.

Mittal Steel musste handeln, um einen Imageschaden für die Firma abzuwenden. Willie Smit, Sprecher der Firma vor Ort, bot an, ein Mahnmal zu finanzieren. Die Firma beschloss zudem, die britische Menschenrechtsorganisation Soul of Europe mit der Abwicklung des Projekts zu beauftragen. Der 70-jährige Anglikaner und ehemalige Pfarrer der St.-James-Kirche in London, Donald Reeves, ist der Sprecher der Menschenrechtsorganisation. Mit Peter Pelz, der selbst viele Familienmitglieder in den Konzentrationslagern der Nazis verloren hat, hat er einen feinfühligen Mitarbeiter, der weiß, welche psychische Dimension solch ein Projekt sowohl für die Überlebenden wie auch für die Täter hat.

Die Gedenkstätte soll auf dem Firmengelände rund 34.000 Quadratmeter umfassen. Ein ovaler Platz soll zu einem Ort der Ruhe und Besinnung werden, umgeben von halbhohen Mauern, in die alle Namen der hier Ermordeten eingraviert werden. Das heute noch stehende „Weiße Haus“, in dem die Folterung der Gefangenen stattgefunden hat, soll in ein Museum umgewandelt werden. Das berüchtigte „Rote Haus“ jedoch, das kein Gefangener lebend verlassen hat, wird nicht in das Projekt eingeschlossen sein.

Noch ist die Planung nicht vollendet. Um die Stimmen und Vorschläge möglichst vieler Personen einzuholen, haben die Organisatoren eine Website eingerichtet. Donald Reeves und Peter Pelz bemühen sich, alle Seiten zu Gesprächen an einen Tisch zu bekommen. Von den Serben waren allerdings nur einige Jugendliche dazu bereit, mitzuarbeiten. „Ich freue mich über sie“, sagt Peter Pelz, „sie fragen wie die deutsche Generation der Sechzigerjahre: Was habt ihr Eltern damals getan?“ Bei den serbischen Behörden jedoch findet ihr Anliegen bisher wenig Gegenliebe. Schließlich soll der Bürgermeister Omarskas, Marko Pavić, zum inneren Zirkel der Nationalisten gehören, zu jenen Leuten also, die an den Verbrechen von damals zumindest indirekt beteiligt waren. Viele Mitglieder der Wachmannschaften des Lagers leben heute noch in Omarska und Umgebung.

„Die Täter schweigen, blocken ab, wollen nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden“, sagt Emsude Majagić, Präsidentin der Organisation der Überlebenden des nahe gelegenen Orts Kozarac. Selbst der für die Region zuständige orthodoxe Bischof Jevrem sei bisher nicht bereit, das Projekt aktiv zu unterstützen.

Mittal Steel kann aber von dem Mahnmalprojekt nicht mehr abrücken. Um Kompromisse bemüht, versucht die Firma, die neu entstehenden Arbeitsplätze vor allem an Serben zu vergeben. Aber später, wenn die Erzproduktion expandiert, können auch Bosniaken und Kroaten beschäftigt werden, verspricht Willie Smit.