Gestrickte Provokation

PROZESS Amtsgericht spricht einen Aktivisten des Netzwerks „Recht auf Stadt“ vom Vorwurf der Polizisten-Beleidigung frei: Er hatte bei einer Demo eine Mütze mit dem Slogan „A.C.A.B“ getragen

„Die Mütze ist bei dem Aufzug den ganzen Nachmittag mitgegangen“

RECHTSANWALT MARC MEYER

Freigesprochen vom Vorwurf der Beleidigung hat das Amtsgericht gestern Jonathan M. Der Aktivist des gentrifizierungskritischen Netzwerks „Recht auf Stadt“ hatte an einem Aktionstag gegen Wohnraum-Leerstand eine Mütze mit dem Schriftzug „A.C.A.B“ getragen – Kurzform von „All Cops Are Bastards“, „Alle Polizisten sind Bastarde“. Beleidigt gefühlt hatte sich davon Katja L., Gruppenführerin der Bereitschaftspolizei und seinerzeit im Oktober 2012 im Einsatz.

Wer ihren Ausführungen vor Gericht folgte, der konnte zu dem Eindruck gelangen: Die Beamtin hat sich damals weniger beleidigt gefühlt als vielmehr beobachtet. „Er stand links abseits und hat die Polizeimaßnahmen mit den Handy gefilmt“, sagte die 32-Jährige über den Angeklagten. Dabei habe sie auf seinem Kopf die Mütze mit der Aufschrift „A.C.A.B“ erkannt, deren Bedeutung „mir bekannt“ sei, so L. Als Jonathan M. die Polizei-Umschließung verlassen gehabt und sich hinter der Polizeikette aufgehalten habe, habe sie ihn angesprochen. „Er hat sich aufgeregt und gesagt, dass ist keine Beleidigung“, sagte L. vor Gericht. „Du hast wohl in der Schule nicht aufgepasst“, habe M. gesagt. „Er hat mich behandelt wie ein kleines dummes Mädchen.“

Am 27. Oktober 2012 waren mehrere hundert Leute vom Uni-Campus aus in zwei Stadtteil-Spaziergängen in die anliegenden Viertel gezogen, um auf die Wohnraummisere der Studierenden aufmerksam zu machen. Die Stadtteilrundgänge kamen nicht weit: Wegen des Gerüchts drohender Hausbesetzungen stoppte ein Großaufgebot der Polizei sie auf den Gehwegen. Stattdessen hatte man auf der Straße weiterzugehen – eng umschlossen von Polizeiketten.

Genau das aber sei „in Hamburg verboten“, sagte M.s Verteidiger Marc Meyer. Deshalb habe sein Mandant damals gefilmt. Wieso dessen Mütze Katja L. beleidigt haben könnte, die mit ihrer Gruppe erst zu einem späten Zeitpunkt zu der Demonstration gestoßen war, konnte sich Meyer gestern nicht erklären: „Die Mütze ist den ganzen Nachmittag mitgegangen und kein Polizist hat sich an ihr gestört.“

Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „A.C.A.B“ nur dann eine Beleidigung, wenn gezielt eine Gruppe gemeint ist. So ist auch die Losung „Soldaten sind Mörder“ von der Meinungsfreiheit gedeckt. Meyer zog zudem ein Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs aus der Tasche: Demnach ist auch „Wenn Schweine fliegen könnten, bräuchte die Polizei keine Hubschrauber“ keine Beleidigung.

Auch für Amtsrichter Oliver Lass war die „A.C.A.B“.-Mütze zwar eine „Provokation“ – Katja L. und ihre Kollegen jedoch seien kein „deutlich abzugrenzendes Kollektiv“ gewesen.  KAI VON APPEN