VERLOREN IN KREUZBERG
: Wo ist der Wein?

Irgendwann dämmerte es mir. Es musste Ewigkeiten her sein

Ich war auf dem Weg zu einem Weinlokal in Kreuzberg, in dem eine Freundin ihren Geburtstag feierte. Vor zwei Jahren hatte sie an denselben Ort geladen. Weil der Wein gut war und ich viel davon trank, konnte ich mich nun nicht mehr genau erinnern, wo das Weinlokal war und wie es hieß. Als grobe Orientierung hatte ich nur die Marheinekehalle.

Zweimal umrundete ich die Markthalle, ohne fündig zu werden. Weil ich wieder guten Wein trinken und die Freundin hochleben lassen wollte, ging ich in das nächste Restaurant, um zu fragen. Inmitten rustikaler Holzmöbel traf ich auf einen Mann, der offenbar der Chef war. Auf dem Kopf trug er ein Tuch, als sei er ein Pirat, was ein bisschen albern aussah. Aber ich war ja nicht auf der Suche nach einem Mann für die Nacht, sondern nur auf der Suche nach jemandem, der mir sagen konnte, wo es langgeht. Nach wenigen Sekunden wusste er, was ich suchte. „Den Namen weiß ich aber auch nicht“, sagte er, „ich war betrunken an dem Abend.“

Wir gingen hinaus auf die Straße, und er zeigte mir den Weg. Je länger er sprach, umso größer wurde meine Gewissheit: Diese Stimme kannte ich. Nur: woher? Irgendwann dämmerte es mir. Es musste Ewigkeiten her sein, mindestens fünfzehn Jahre, als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten.

Ich fuchtelte mit dem Zeigefinger herum: „Wir kennen uns. Wir hatten mal was miteinander.“ Und dann fiel mir noch ein Detail ein: „Du hast mir ein Plüschtier geschenkt. Erinnerst du dich?“ Als ich ihm meinen Namen sagte, strahlte er übers ganze Gesicht, breitete die Arme aus und gab mir einen Kuss, der mehr ein Schmatzer war, auf den Mund.

Der Wein auf der Geburtstagsfeier war gut wie beim letzten Mal, sodass ich den Namen des Lokals schon wieder vergessen habe. Aber immerhin weiß ich jetzt, dass es nicht in der Marheinekehalle ist. BARBARA BOLLWAHN