Mal Volksheld und mal Volksfeind

HIPPEN EMPFIEHLT Auf dem Symposium „Public Enemies“ wird über „Film zwischen Identitätsbildung und Kontrolle“ doziert und von Gangstern und Zombies erzählt

Über die „Public Enemies“ kann man viel nachdenken, schreiben und reden – und so ist dies ein gutes Thema für das Symposium.

Von Wilfried Hippen

Es ist ein schillernder und widersprüchlicher Begriff. In diesem Sommer waren gleich zwei Filme mit den Titeln „Public Enemies“ und „Public Enemy No. 1“ in den deutschen Kinos zu sehen, und in beiden wurde der Begriff ironisiert. Denn sowohl John Dillinger in Michael Manns Biopic wie auch Jacques Mesrine in dem Zweiteiler von Jean-Francois Richet waren Gangster, die von der Öffentlichkeit gefeiert wurden, also eher „Volkshelden“. Die Übersetzung mit „Volksfeinde“ ist zwar antiquiert und ideologisch höchst fragwürdig, weist aber auf die vielen Deutungsmöglichkeiten der „Public Enemies“ hin. Der titelgebende Gangsterfilm mit James Cagney und Jean Harlow von 1931, der in der letzten Woche im Kino 46 gezeigt wurde, hat noch den schön ordentlichen deutschen Titel „Der öffentliche Feind“ verpasst gekriegt – auch das ist ein Hinweis – obwohl er ja eigentlich mit „Feind der Öffentlichkeit“ genauer übersetzt gewesen wäre. Sie sehen, über die „Public Enemies“ kann man viel nachdenken, schreiben und reden, und so war es eine kluge Entscheidung von den Organisatoren des inzwischen 15. Internationalen Bremer Symposiums zum Film, es unter diesen Titel zu stellen.

Auf der offensichtlichsten Ebene ist der „Public Enemy“ der Gangster, um den in Amerika eines der ersten, wenn nicht überhaupt das erste Genre entstand („The Great Train Robbery“ von 1905 wird oft als der erste narrative Film genannt, ist aber auch ein Western). Schon früh wird hier mit der eigentümlichen Faszination gearbeitet, die solche Filme über Verbrecher in vielen Zuschauern auslösen. Oft sind sie fast ausschließlich aus deren Perspektive erzählt, und ihr aufregendes, sinnliches und unmoralisches Leben wird in den schönsten Farben ausgemalt – solange sie nur im letzten Akt möglichst spektakulär sterben. In den USA sorgte die puritanische Moral für solch ein schlimmes Ende, aber in Frankreich gab es mit Fantomas schon in der frühen Stummfilmzeit einen unbesiegbaren Bösewicht. Dessen weibliches Pendant war die akrobatische Diebin Irma Vep, die in der Filmserie „Les vampires“ (rücken Sie mal ein wenig die Buchstaben herum) von 1915 große Erfolge feierte und von den Surrealisten als eine ihrer Ur-Inspirationen gefeiert wurde. Zwei von diesen Episoden werden am Freitagabend im Kino 46 gezeigt, davor hält die Filmtheoretikerin Annette Förster aus Amsterdam einen Vortrag über „Female Gangsters in the Silent Cinema“.

Als die Afroamerikaner in den frühen 70er Jahren zum ersten Mal ihre eigenen schwarzen Helden im Kino bekamen, waren dies die bösen Jungs. „Shaft“ war noch ein Privatdetektiv, aber „Superfly“ ein cooler Kokain-Dealer. Der selten gezeigte Film ist nicht nur wegen der Musik von Curtis Mayfield zu empfehlen, und der britische Kulturwissenschaftler Jonathan Munby hält dazu Freitagvormittag einen Vortrag mit dem passenden Titel „Baad Cinema“.

Eine ganz andere Bedeutungsebene des „Public Enemy“ ist der anonyme Feind der Gesellschaft, der durch Überwachungstechnologien erkannt und dingfest gemacht werden soll. Auch diese Kontrolle des öffentlichen Raumes ist ein Thema des Kinos, und Michael Haneke hat „Caché“ zum einem großen Teil im Stil, mit der Dramaturgie und Ästhetik einer Überwachungskamera inszeniert. Der amerikanische Medienhistoriker Tom Levin bezieht sich darauf in seinem Vortrag über „Grammars of Control in Fiction Film“ am Freitag Abend. Spannend sind auch die Strategien, mit denen in Dokumentarfilmen Täter ins Licht der Öffentlichkeit gestellt werden. So etwa der NS-Täter Adolf Eichmann in dem Film „Ein Spezialist“, auf den sich Judith Keilbach aus Utrecht in ihrem Vortrag „Gewöhnliche Deutsche“ bezieht. Den schönsten Vortragtitel des Symposiums hat mit „Marx Attack“ eindeutig der französische Filmhistoriker Charles Tesson gefunden, der am Samstagnachmittag über die „Inszenierung des Anderen im Kino der in B-Movies“ doziert, und dies am Beispiel des Originals von „Invasion of the Body Snatchers“ von 1956 tut. Der abschließende Höhepunkt des Symposiums dürfte schließlich die multimediale Präsentation „The Eye & the Undead“ von Georg Seeßlen und Markus Metz sein, in der die Genreforscher ein Zwiegespräch über Zombiefilme halten werden. Und weil all das so schön wissenschaftlich ist, darf dazu sogar George A. Romeros „Dawn of the Dead“ ungekürzt gezeigt werden, obwohl dieser immer noch auf dem Index steht. Aber das Besondere an diesem Symposium besteht ja darin, dass es in einem Kino stattfindet und Filmtheorie hier nicht trockene Theorie bleiben muss.