Die Ehre kommt vor dem Senator

Warum die 100.000 Besucherin der Monetausstellung ihre Blumen vielleicht zu unrecht bekam

Bremen taz ■ Angela Fischer ist die 100.000 Besucherin der Ausstellung „Monet und Camille“ in der Kunsthalle – glaubt man Kunsthalle und Kultursenator.

Die Wahrheit ist eine andere: Die Ehre des Blumenstraußes, überreicht vom CDU-Kultursenator höchstpersönlich, wird ganz pragmatisch verteilt. Sie kommt vor dem Senator. Durch die Drehtüre.

Die Kunsthalle weiß nämlich gar nicht so genau, wer der oder die 100.000 BesucherIn ist. Also einigt man sich mit dem Herrn Senator auf einen Termin. In diesem Falle auf Donnerstag halb zwei. 99.867 oder 100.123 – wer zählt das schon so genau? Die Kunsthalle jedenfalls nicht. „Aus technischen Gründen.“ Und warum auch?

Wer also vor Jörg Kastendiek die Kunsthalle betritt, der ist es. So lautet die offizielle Sprachregelung. „Da gibt es gar keine Manipulation“ – betont eine Mitarbeiterin der Kunsthalle.

Die Wahl fällt also auf Angela Fischer, die gemeinsam mit ihrer Freundin durch die Türe tritt und schnurstracks zur Garderobe eilt. Doch halt! Die Freundin entwischt der Ehre noch, Angela Fischer packt sie von hinten. Noch weiß sie gar nicht so recht, wie ihr geschieht – da steht schon der Kultursenator, mit dem im weihnachtlichen rot-weiß gehaltenen Blumenstrauß in der Hand. Die Kameras klicken. Und Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath will auch mit aufs Bild. Schließlich kommt die Zeitung nicht jeden Tag in die Kunsthalle.

Der Stau war schuld, erzählt die Lehrerin aus Ritterhude dann, „ihm hab ich es zu verdanken“. Und es hat sich gelohnt. Schließlich gibt es auch zwei Freikarten für die Matisse-Ausstellung in Düsseldorf. „Manchmal muss man den Stau eben auch loben“, hebt Herzogenrath an, aus einer einschlägigen Dissertation zitierend. Vom Stau als kulturellem Phänomen ist da die Rede, von der kommunikativen Kraft der Stauungen.

Fischer ist das egal. Sie will ja nur die Ausstellung sehen. Nochmal sehen. Weil sie so „beeindruckend“ ist. Statt dessen weiter Politikergespräche, Journalistenfragen. Dann, endlich, die Chance: „Bin ich jetzt erlöst?“ Jan Zier