Kein Spekulatiuskino

Aus dem Martyrium der Ausgestoßenheit heraus erfand sie den Teddybären mit dem Knopf im Ohr: Heike Makatsch glänzt in dem ergreifenden Filmporträt „Margarete Steiff“ (20.40 Uhr, Arte)

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Aus dem Mythenmärchenwald. Dort, wo die Tannen dicht, die Häuser fachwerkschief und die Eisenbahn eine schwäbische ist. Aus dem Mythenmärchenwald. Wo man alles kann, außer Hochdeutsch. Wo die Erfinder und die Unternehmer herkommen, der Daimler, der Bosch, die Steiff. Wo man stolz ist und ein wenig halsstarr. Und genau darauf dann wieder stolz. Wo die Orte Nürtingen heißen, oder Esslingen. Wo der liebe Gott alle fromme Menschen werden lässt.

Zumindest war das damals noch so, als die schwäbische Eisenbahn gerade erste Schneisen der Moderne durch die dichten Tannenwälder geschlagen hatte. Als die Dampfmaschinen in die Städte kamen. Und die Nähmaschinen. Eine davon hatte sich Margarete Steiff gekauft. Und dafür das Ersparte der ganzen Familie drangegeben. Sie, die an der noch weitgehend unbekannten Kinderlähmung erkrankt war und die doch immer nur Kosten verursacht hatte. Sie, die bald den Frauen einer ganzen Region Arbeit bieten sollte. Filz-Elefanten haben sie genäht. Und später, als es fast schon zu spät war, einen Teddybär. Eine von ihnen, die mit der Lochzange, stanzte das berühmte Fähnchen in die Ohren der Stofftiere.

Die Geschichte der Margarete Steiff ist eigentlich zu wahr, um schön zu sein. Oder anders gesagt: So bunt in den Bildern, die sie nicht nur in Kinderköpfen evoziert, so vibrierend im Leiden, das da ein junger Mensch durchlebt, dass es Regisseur Xaver Schwarzenberger gar nicht hoch genug angerechnet werden kann, daraus kein barockes Weihnachtsmärchen gemacht zu haben. Kein Spekulatiuskino für die so genannt besinnlichen Tage. „Margarete Steiff“ ist mehr als nur ein Weichzeichnerportrait einer behinderten Frau, die aus dem Martyrium der Ausgestoßenheit heraus den Teddybär erfunden hat.

Stattdessen dringt die Gemeinschaftsproduktion von Arte und SWR tief in die Geschichte ein. Tiefer, als man es in anderen Historienspielen der letzten Zeit erleben durfte. Da wird das Württemberg des 19. Jahrhunderts zu mehr als nur einer bloßen Kulisse. Es ist eine metaphorische Landschaft, tief gezeichnet von kalvinistischer Gottesfurcht und gründerzeitlichem Frühkapitalismus. Da ist eine Heike Makatsch, die die Margarete Steiff ganz sich selbst überlässt. Die aus einem Leben berichtet und nicht – umgekehrt – dieses Leben zum Sinnbild stilisiert. Das Leben der Margarete Steiff ist eine einmalige Geschichte. Nichts anderes behauptet dieser Fernsehfilm.

Sicher, da gibt es auch einen Harald Krassnitzer, der als anthroposophisch durchdrungener Mediziner ein wenig zu operettenhaft geraten ist. Da gibt es eine Solidaritätsbekundung der Steiff’schen Näherinnen, die in ihrem Pathos der Schlussszene aus dem „Club der toten Dichter“ Paroli bieten könnte. Aber das mag man diesem Film mit dem Knopf im Ohr, zumal am Tag vor Heiligabend, verzeihen.

Wiederholung am kommenden Dienstag, 27. 12., um 20.15 Uhr in der ARD