Grabenkampf statt Trauerarbeit

ABSCHIED Der Tod von Ernst Cramer ereilt den Springer Verlag in einem Selbstfindungsprozess

Dass er mit seinen 96 Jahren weiter beinahe jeden Tag im Büro erschien und immer noch am liebsten zu Fuß ging, hat allen imponiert. Dass er, die wohl unscheinbarste Galionsfigur des größten deutschen Zeitungshauses, bis zuletzt auch mit den ganz normalen Redakteuren sprach, zeigt, was Ernst Cramer immer und in erster Linie war: ein Journalist. Der, wie ihm Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner gestern in der Welt artig nachschrieb, mit 92 noch anfing zu googeln. Und der der engste Vertraute von Verlagsgründer Axel Springer war, ja in Wirklichkeit wohl immer auch ein bisschen Springer selbst.

So ist der Tod Cramers am Dienstag für den Springer Verlag längst nicht nur der Abschied von einem beliebten Pensionär im Unruhestand, der für einen Euro pro Jahr antrat und seit 1981 offiziell der Axel Springer Stiftung vorstand. Hier geht auch noch einmal ein Stück des Altverlegers, zu einer Zeit, in der die Axel Springer AG ihren Ausbau zum Medienhaus im digitalen Zeitalter beinahe wieder zurückgestellt zu haben scheint. Und dafür wieder „der“ Axel Springer Verlag ist, der unter der Chiffre „1968“ um sein eigenes Selbstverständnis ringt. Die Debatte über das 2009 gescheiterte „Springer-Tribunal“ und das am Sonntag eröffnete „Medienarchiv 1968“ im Internet (taz vom 18. 1.) zeugen davon. Man hätte gern gewusst, was der immer für eine ehrliche Debatte und für Toleranz plädierende Cramer von diesem K(r)ampf der alten Kämpen und der Nachgeborenen um die Deutungshoheit hielt.

„Enteignet Springer!“ wird heute kaum noch jemand rufen. Doch auf der Folie der 40 Jahre zurückliegenden Auseinandersetzungen und ihrer bis heute anhaltenden Schwingungen hüllt sich nun ein anderer in den Mantel des Verlegers – Mathias Döpfner. Fragt sich, ob er sich eignet. STEFFEN GRIMBERG