DER VERMIETER
: Die Realität zu Besuch

Meine Wohnung war unordentlich wie immer

Der Vermieter hatte seinen Besuch angekündigt. Er ist Rentner, wohnt in Süddeutschland und ist Mitglied der Besitzerversammlung des Hauses. Vor zwei Jahren hatte er mich schon einmal besuchen wollen, aber es hatte nicht geklappt, weil ich in Finnland war. Manchmal schreibt er mir E-Mails und ich antworte, dass die Postbank schuld ist, und wir scherzen dann bankenkritisch. Überhaupt ist er sehr nett. Am Vortag seines Besuchs hatte er mir ein Bild des Etiketts vom Franziskaner-Bier und ein Bild des neuen Papstes geschickt, weil es doch lustig ist, dass der neue Papst genauso aussieht wie der Mönch auf dem Bieretikett. Obwohl er in allem einen sehr netten Eindruck machte, war ich ziemlich aufgeregt vor unserem Gipfeltreffen.

Unser Verhältnis ist ja notgedrungen asymmetrisch. Auch wegen des Internets. Ich wusste kaum etwas über ihn; er hatte aber viele Informationen über mich. Meine, beziehungsweise seine Wohnung war unordentlich wie immer. Vermutlich ist sie die unordentlichste im Haus. Soweit ich das beurteilen kann. Sie ist aber auch sehr privat. Ich bin ja jeden Tag oft 20 Stunden hier. G. ist eigentlich die einzige Besucherin, nachdem die „Breaking Bad“-Gruppe auseinandergefallen war. Aber G. gehört ja nicht zu den Erwachsenen, auch wenn sie aus Mexiko kommt. In diesem Sinne gehören weniger als die Hälfte meiner Bekannten zu den Erwachsenen. In der Anwesenheit „echter“ Erwachsener werde ich mich vermutlich auch noch im Altersheim leicht befangen fühlen.

Der kommende Besuch fühlte sich ein bisschen an, als komme die Realität zu Besuch. Drei Stunden dauerte es, die Zeichen der Verwahrlosung zu kaschieren. Das Badezimmer ging schnell. Die Küche dauerte. Danach sah es tatsächlich schöner aus. Wir standen dann am Schreibtisch, er hatte mir eine Flasche Bierschnaps mitgebracht. Dann war er wieder weg. DETLEF KUHLBRODT