Punkt verpasst

ORTSTERMIN StudentInnen brüllen Verteidigungsminister de Maizière aus der Berliner Humboldt-Universität. Sind das die neuen 68er? Diskutieren können sie jedenfalls nicht

Es wurde einfach so lange und laut gejubelt, dass de Maizière gar nicht mehr zu Wort kam. Das hatte schon wieder etwas Stumpfes, wie auf dem Fußballplatz

AUS BERLIN MARTIN RANK

Da geht er wieder, der Verteidigungsminister, ohne ein Wort gesagt zu haben. Eigentlich wollte Thomas de Maizière am Mittwochabend im Audimax der Berliner Humboldt-Universität einen Vortrag halten. Es sollte um den „Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gehen. Doch die StudentInnen haben ihn niedergebrüllt, oder besser gesagt: niedergejubelt. Sie klatschten und stampften mit den Füßen so laut, dass er nicht zu Wort kam, und riefen: „Nie wieder Deutschland, nie wieder Krieg“. Sie wollten nicht, dass der Minister an Hochschulen Nachwuchsakquise für die Bundeswehr betreibt, die nun ohne Wehrpflichtige auskommen muss. Einige stürmten in blutbeschmierten T-Shirts auf das Podium und stellten sich tot. Das sind schöne Bilder für die Medien. Wann wurde schon zuletzt ein Minister aus dem Hörsaal gekegelt? Das riecht doch nach Studentenbewegung!

Fleißig Credits sammeln

Aber die Aktion zeigt vor allem eins: Es gibt ein gut funktionierendes Netzwerk von einigen linken Gruppen, die online sehr effektiv mobilisieren können – weniger eine tatsächliche Bewegung, sondern eher ein sehr aktiver, aber kleiner Kern von Leuten.

Deshalb wäre es auch übertrieben, hier eine neue 68er-Stimmung an den Universitäten erkennen zu wollen. Die meisten StudentInnen sind keineswegs besonders politisiert, sondern sammeln fleißig Credits und sehen zu, dass sie zügig ihr Studium durchziehen. Thomas de Maizière spricht an vielen Unis quer durch die Republik pro Bundeswehr. Und keineswegs wird er überall ausgebuht.

Der Tumult im Audimax der Berliner HU – die StudentInnen jubelten bereits wie auf Knopfdruck los, als zunächst der Uni-Präsident ans Rednerpult trat – hatte eine Aktion in der Universität Leipzig im Dezember zum Vorbild. Dort hatte der Ring Christlich-Demokratischer Studenten den Minister zur Vorlesung eingeladen. Auch in Leipzig wurde gegen den Vortrag mobilisiert. Die StudentInnen unterbrachen den Minister immer wieder, indem sie ihn wie einen Superstar ankreischten. Auf YouTube wurde das Video über 27.000 mal geklickt. De Maizière brach seine Rede nach einiger Zeit ab und stellte sich den Vorwürfen des Auditoriums. Dabei entstand immerhin eine interessante Diskussion.

In der Humboldt-Universität haben die Studenten nun aber einfach so lange und laut gejubelt, dass de Maizière gar nicht mehr zu Wort kam. Das hatte auf Dauer dann schon wieder etwas Stumpfes, wie auf dem Fußballplatz. Dabei hätten die StudentInnen einen viel größeren Punkt machen können, wenn es ihnen vor den versammelten Medien gelungen wäre, de Maizière argumentativ in die Zange zu nehmen.

Nach fast einer halben Stunde Lärm schreibt der Verteidigungsminister über Powerpoint: „Schade, ich weiche der Diskussion nicht aus. Aber ein Teil des Saales offenbar doch.“ Irgendwann wurde es ihm zu blöd, und er ging.

Nicht auf Augenhöhe

Der Referent_innenrat begründete das Abwürgen einer Diskussion in einer Mitteilung so: Die ungleichen Mächteverhältnisse im Hörsaal hätten eine Diskussion auf Augenhöhe gar nicht zugelassen.

Der Verteidigungsminister will es an anderen Unis weiterprobieren. „Berlin ist nicht überall“, sagte er bei seinem Abgang den Medien. In anderen Hochschulen wird es sicher wieder ruhiger zugehen. Denn viele StudentInnen haben ohnehin nur Zeit für Pflichtveranstaltungen.