Zur Einsamkeit verdonnert

Seit acht Jahren moderiert er die Weihnachts-Sendung bei Eins Live. Und bekommt hunderte Faxe, E-Mails und Anrufe. Wir haben Mike Litt getroffen. Im Auto mit dem „einsamsten DJ der Welt“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Aha, so sieht er also aus, der einsamste DJ der Welt. Sitzt an diesem dunklen Düsseldorfer Vorabend in seinem silbergrauen Citroën-Kombi und raucht West Silver. Man begrüßt sich kurz, stellt fest, dass seine Stimme so sanft klingt wie im Radio. Dann fährt er los, stadtauswärts. Der kleine graue Cowboyhut am Rückspiegel beginnt zu baumeln.

Der einsamste DJ der Welt. Diesen Titel hat sich Mike Litt vor acht Jahren eingefangen. Unfreiwillig. Eins Live, die Jugendwelle des Westdeutschen Rundfunks, war noch jung und Litt noch nicht lange dabei, als nach einem Moderator für die Heiligabend-Sendung gefahndet wurde. Alle drückten sich. Also wurde Litt mehr oder weniger dazu verdonnert. Und es entstand die Legende vom todtraurigen DJ, der mit allen gebrochen und somit genug Zeit hat, selbst an Weihnachten Dienst zu schieben. Was für ein Schicksal. Oder nicht?

Eine Kunstfigur sei das, sagt Mike Litt. Genauso wie eine Radiostimme ein Kunstprodukt sei. Nur seine (siehe oben) offenbar nicht. Aber egal. Jedenfalls war die Mär vom einsamen DJ, wie sie zu Weihnachten 1998 in kurzen Einspielern runtergebetet wurde, so gut gemacht, dass Litts Schwester von Bekannten angesprochen wurde, was denn bloß los sei bei ihnen? Im Radio habe man gehört, der Bruder sei einsam. O Gott! Dabei ist er das gar nicht. Das sagt er zumindest. Und raucht noch eine West.

„Ich habe schon Freunde“, sagt Litt, „so schlimm ist es jetzt auch nicht.“ Aber es sei halt mit der Zeit „sein Weihnachten“ geworden. Und seine Freunde haben sich daran gewöhnt, dass er erst an den Weihnachtsfeiertagen da ist. Also in persona. Via Radio ist er ja auch an Heiligabend da. An diesem Tag im Sender zu sitzen, sei „ein großer Luxus“. Bei keiner Sendung gebe es so viele Reaktionen. Drei bis vier Aktenordner voller Faxe und E-Mails kommen jedes Jahr zusammen. Dazu noch Anrufe in der Hotline.

Der größte Luxus aber: Der einsamste DJ der Welt darf auflegen, was er will. Eine Seltenheit im modernen Radio, wo längst Computer das Tagesgedudel verbrechen. Roberto Blanco rutscht sonst nie in die Rotation des Senders. „Heiligabend läuft er immer“, sagt Litt. Genau wie Sinead O‘Connors „Silent Night“. Alle Jahre wieder. Immer um Mitternacht und noch mal um zwei Uhr, als Aussteiger. Danach fährt Litt in seine Wohnung nach Bochum. Und ist dann doch einsam. Ein bisschen zumindest.

Aber wer im Himmel hört an Heiligabend Radio? Unterschiedlich: Jugendliche, Kinder und Senioren. Einsame, Zweisame und solche, die das familiäre Rumsitzen satt haben, stattdessen Roberto Blanco der nervenden Schwiegermutter vorziehen. Manche, sagt Litt, wären bei Domian besser aufgehoben. Mit dem Pseudopsychologen, der wochentäglich auf dem WDR geschundene Seelen knetet, will Litt nicht verglichen werden. Würde auch nicht passen. Außerdem: Bekommt Domian Heiratsanträge? Von Männern vielleicht. Mike Litt eher von Frauen. Oder von Eltern: „Der wäre doch was für unsere Tochter.“

Der Wagen hält. Bochum. Heimat. Heute Abend moderiert Mike Litt die Weihnachtssendung zum achten Mal. Bis zur zehnten Ausgabe will der 38-Jährige auf jeden Fall durchhalten. Und dann? Mal sehen. Da sind ja noch die anderen Sendungen: montags „Rock Chill Out“, jeden Freitag „Clubbing“, also Litt und Literatur, mit Autoren, Platten und DJ-Kollege Larse. Oder es geht in die USA, wo Litt geboren wurde. Alles ist möglich. Jetzt hat der Hut aufgehört zu baumeln.

Heiligabend, 20 bis 2 Uhr, Eins Live