Chef in der Nebenstelle des Paradieses

Eberhard Päller war Seemann. Als er marineuntauglich wurde, musste er seine Passion aufgeben. Nun widmet er sich einer anderen: der Herstellung und dem Verkauf von Pralinen, Kräuterlikören und anderen Delikatessen. Ein Ladenbesuch

VON WALTRAUD SCHWAB

Nachdem der ehemalige Seemann Eberhard Päller marineuntauglich wurde – die Knochen, die Nerven, nichts ging mehr –, hat er sich vor 38 Jahren die Welt in seinen zwanzig Quadratmeter großen Laden in Charlottenburg geholt. „Paradies-Nebenstelle“ steht an der Tür. Mehr als 4.000 Köstlichkeiten stapeln sich in dem Geschäft. „Genussmittel, keine Lebensmittel“, erklärt er.

Sie sind gleichermaßen ansprechend für den Geschmacks- und Geruchssinn wie auch fürs Auge. Schokolade, eingepackt in die glitzernden Farben der Märchenwelt. Konfitüre, deren Etiketten als Stillleben gesammelt werden. Fondantfiguren, deren Farben- und Formspiel an Jugendstilminiaturen erinnert. Eine italienische Firma stellt sie seit 225 Jahren her. Er öffnet eine der Schachteln. „Ist das nicht herrlich?“ Seine Augen glänzen. Ungefähr 300 Dinge, die sich in Pällers Garten Eden stapeln – der, mal ehrlich, auf den ersten Blick wie ein Tante-Emma-Laden aus einem Bilderbuch daherkommt –, sind in Berlin nur bei ihm zu bekommen.

Päller ist ein Genießer und ein Arbeitstier. Wie das zusammengeht, ist sein Geheimnis. Tagein, tagaus ist er im Laden. Nachts arbeitet er die schriftlichen Bestellungen ab. Am Wochenende aber fährt er zu befreundeten Konditoren nach Westdeutschland, die ihn in ihren Küchen hantieren lassen. Dort rührt er seine Pralinen.

Was er für den Lebenseinsatz am verführerisch Süßen zurückbekommt: die Freude, anderen Genuss zu bereiten. „Manchmal darf ich auch Gast auf Firmenjubiläen sein“, sagt er. Denn Päller ist mehr als nur ein Grossist fürs Feine. Er beobachtet die Herstellung der Produkte, die er vertreibt. Vor allem kleine Manufakturen interessieren ihn. Solche, wo alte, traditionelle Köstlichkeiten produziert werden. Innerhalb Europas kennt er sie alle. Denn wenn er doch mal eine „Fee“ hat, die ihn im Laden vertritt, besucht er diese Familienbetriebe. Sie sind sein Zuhause. Weil er fachsimpeln kann, gehört er dazu. „Kennen Sie Knüppelkuchen, Schneckenkuchen, Wickelkuchen, Rheinische Pützchen, Seelchen, Agnessen, Muskazinen, Mannemer Dreck, Magenmosellen, Aalener Spionle?“ Spezialitäten aus Deutschland seien das. Letztere würden auch bei Liebeskummer helfen.

Bei Päller geht es ums Süße. Das Saure, das Bittere schließt er dennoch nicht aus. Unter den tausenden von Dingen finden sich edle Senfsorten, fantasiereichste Essige, eigenwillige Liköre. Er schenkt einen ein. „Raten Sie, aus was der gemacht ist.“ Es ist keine Aufforderung, es ist ein Test. Die vordergründige Süße wird durch eine herbe bittere Note ergänzt. Pampelmuse? „Falsch!“ Gemüse? „Schon näher dran!“ Was genau? „Das frage ich Sie.“

Zum Likör, der, wie er später gesteht, aus Rucola ist, reicht er eine seiner selbstgemachten Pralinen. Jene mit Kardamom. Ganz leicht dringt die warme, fruchtig-herbe Gewürznote durch. Päller hat 94 selbstgerührte Kreationen im Angebot. Meerrettich-Pralinen, Curry-Trüffel, Koriander-Kompositionen sind darunter. Auch vor Knoblauch macht er nicht Halt. Der Ex-Seemann ist gelernter Konditor, Pralinenmacher und Koch. Auf dem Schiff war die Kombüse sein Reich. Er hat gelernt, auf engstem Raum seine Köstlichkeiten zu zaubern. Außerdem ist er in aller Welt über die Märkte gezogen. In seinen Pralinen kommt alles zusammen. Das Sinnliche ist ihm Heimat geworden. Verheiratet war er übrigens mit einer Tänzerin.

Confiserie Melanie, Goethestraße 4