Die Schoko-Fabrik im Hinterhof

Das Tempelhofer Schokoladen-Handwerk hat goldenen Boden, sogar in Krisenzeiten

Peter Sikora ist ein Mann der Tat. Einzeln legt der Chef der kleinen Tempelhofer Schokoladenfabrik „Walter“ die Dominostein-Rohlinge auf das Fließband einer alten Maschine. Zwischen den Steinen, die aus einem Honigteig, Marzipan und Gelee bestehen, muss ein Abstand von mindestens einem Zentimeter sein, damit in der Maschine die 32 Grad warme Schokolade um jeden Stein herumfließen und daran kleben bleiben kann. Zwei Schokoladenübergüsse bekommt jeder Dominostein. Sikora hat es eilig, noch wenige Tage vor Weihnachten wollen Nachbestellungen erledigt werden. Das Weihnachtsgeschäft brummt, und Sikora hilft, wo er kann. „Ich bin eben ein Handwerker“, sagt der 62-jährige Chef lachend. Ein Firmenchef, der in seinen Gummistiefeln und dem weißen Arbeitsanzug aussieht wie einer seiner Arbeiter.

Seit 1977 gehört Sikora die traditionsreiche Schokaladenfabrik „Walter“ in der Burgemeisterstraße in Tempelhof. Wer durch die kleine Nebenstraße läuft, ahnt nicht, dass sich zwischen den Wohnhäusern auf einem Hof eine Schokoladen-Manufaktur befindet. Die besteht aus zwei weiß gekachelten Produktionsräumen, einer Kammer fürs Verpacken und Versenden und einem engem Büro unterm Dach, das über eine schmale Treppe zu erreichen ist.

Rund zwanzig Beschäftigte hat die Firma, die Pralinen für die ganze Republik produziert – in Handarbeit. Im Produktionsraum, der an eine Fleischerei erinnert, schneidet ein Arbeiter Dominostein-Rohlinge aus einem Blech voller Teig, ein anderer formt Marzipankartoffeln. Nebenan sortiert eine Arbeiterin die fertigen Pralinen in kleine Kistchen, eine andere klebt Etiketten und Folien drauf.

Es ist die Sehnsucht der Verbraucher nach etwas Besonderem, die diese Handarbeit offenbar lukrativ macht – auch in Zeiten der Globalisierung. Um die fünf Euro kostet etwa eine kleine Packung mit exklusiven Pralinen, die an Süßwarengeschäfte im ganzen Bundesgebiet geschickt wird. Die Kunden kaufen, selbst wenn ihr Geld knapp ist – ab und an möchte sich jeder etwas Gutes gönnen. Mag der Drang nach etwas – vielleicht nur scheinbarem – Luxus Ergebnis einer klugen Marketingstrategie sein, die nach der Sättigung des Marktes mit Massenprodukten neue Käufer suchte – in gewisser Weise verhalten sich Käufer von „Walter“ und ähnlichen Marken ernährungswissenschaftlich gesehen rational: Es ist allemal gesünder, ein Mal in der Woche ein paar Edelpralinen oder ein Steak vom Ökometzger zu verspeisen als jeden Tag Discounterschokolade oder -fleisch.

„Wir liefern beste Qualität, weil wir nur mit frischen Zutaten arbeiten“, sagt Sikora. Und: „Unsere Werbung ist unsere Ware.“ Das klingt nach Unternehmerfloskeln, aber für die Schokoladenmarke „Walter“ haben diese Sprüche eine Bedeutung: Klasse statt Masse ohne chemische Konservierungsstoffe, künstliche Aromen oder Farbstoffe – damit lässt sich sogar gegen Aldi und Lidl eine Marktnische finden. Und ein Broterwerb für Sikoras Beschäftigte: Zwischen 8 und 18 Euro pro Stunde verdienen sie – je nach Qualifikation und Tätigkeit.

Ganz ohne internationale Arbeitsteilung – von der Herkunft der Rohstoffe Kakao, Zucker und Butter einmal abgesehen – kommt aber auch Sikoras Geschäft nicht aus. Die Pralinenschachteln aus dünnem Sperrholz, die rustikaler und damit edler wirken als Pappbehälter, lässt der Tempelhofer Unternehmer in der Nähe von Danzig basteln. Den Kontakt hat ihm einer seiner Arbeiter vermittelt.

Das Schoko-Geschäft, das rund 2 Millionen Euro Umsatz im Jahr bringt, läuft so gut, dass sich Sikora keine Sorgen um einen Nachfolger machen muss. Wenn der Chef in Rente geht, übernimmt die Firma der Sohn, der schon als Zulieferer tätig ist. Für die Zukunft ist Sikora optimistisch, Pralinen würden die Leute immer gern naschen. Und: Seine Branche könnte von der demografischen Entwicklung profitieren. „Je älter die Leute werden, desto mehr achten sie auf Qualität.“

Dass die bei „Walter“ so bleibt, wie sie ist, dafür sorgt der agile Chef. Immer wieder probiert er in den Produktionsräumen eine Praline oder einen Dominostein, gibt den Arbeitern Tipps. Wie viele er an einem Arbeitstag isst? „Zwei- bis dreihundert Gramm werden es schon sein“, schätzt Sikora und streicht über seinen kleinen Bauch. RICHARD ROTHER