„Die Cointreaubutterpraline geht auf mein Konto“

Jürgen Stiebritz ist Pralinenmacher. Und das seit fast einem halben Jahrhundert. Er hat den Niedergang Berlins als Schokoladenstadt miterlebt

taz: Herr Stiebritz, Sie haben ein verschmitztes Lächeln. Ist da das Glückshormon, das in der Schokolade sein soll, am Werk?

Jürgen Stiebritz: Bei mir war das immer schon so. Überhaupt, das mit dem Glückshormon ist so eine Sache. Was in der Schokolade drin ist, löst körperliche Prozesse aus, wie sie im Sommer durch die Sonnenstrahlung bewirkt werden. Deshalb wird im Winter auch mehr Schokolade gegessen. Mit Weihnachten hat das nichts zu tun, sondern mit der Dunkelheit. Wir kriegen zu wenig Sonne ab, da schaltet der Körper auf Schokolade um. Alles perfekt organisiert.

Sie haben 1958 eine Lehre angefangen als Pralinenmacher. Hat Sie die Aussicht, ein Leben lang mit Schokolade zu tun zu haben, verführt?

Glaub ich nicht.

Sie sind sogar Pralinenmachermeister. Das gibt es heute als Beruf nicht mehr. Hat sich die Schokoladenherstellung im letzten halben Jahrhundert so verändert?

Sie ist rationeller geworden. Früher etwa hat man bis zu 72 Stunden conchiert. Heute noch höchstens 24 Stunden.

Was bitte ist Conchieren?

Da wird die Schokolade bewegt, damit an der Oberfläche der Moleküle Wärme, Reibungswärme bis zu 70 Grad, entsteht. So verdampft das Wasser. Erst dadurch wird die Schokolade flüssig. Das haben Sie bestimmt auch schon erlebt: Sie wollen Schokoladenkuvertüre auflösen im Wasserbad und es spritzt Ihnen Wasser rein. Sofort klumpt das Zeug. Heute hat man andere Maschinen fürs Conchieren. Es muss ja rationeller gearbeitet werden.

Trotzdem, Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren bei der Berliner Traditionsfirma Sawade. Beim Rundgang durch die Fabrik wird deutlich, wie viel Handarbeit da noch drin steckt.

Wir haben ungefähr 200 verschiedene Produkte. Hier wird keine Massenware hergestellt. Weil die Auflagen klein sind, geht es nicht ohne Handarbeit. Außerdem: Die Sachen müssen gut aussehen. In die Dekoration wird viel Mühe gesteckt.

Qualität ist das Stichwort?

Kleinere Firmen wie unsere mit etwa 70 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen haben nur eine Chance am Markt, wenn sie hochwertige Ware produzieren. Da müssen die Geschmackskomponenten stimmen, da muss der Kakao mit dem Marzipan, dem Trüffel, dem Nugat harmonieren. Das soll Genuss sein, nicht gierig machen.

Ist es für Sie wichtig, in einer Firma arbeiten zu können, die auf solche Details Wert legt?

Ich bin froh, dass ich diese Möglichkeit noch habe.

Das klingt pessimistisch. Dabei ginge der Trend, so die Forscher, wieder hin zur Qualität.

Wir können das so nicht bestätigen, weil wir ja immer Hochwertiges produziert haben. Aber ich sehe vor allem den Niedergang Berlins als Schokoladenstadt. Früher gab es so viele Firmen – Hildebrand, Frisöni, Nizelli, Kynast, Kwieschinsky, Cyliax, bei denen hab ich gearbeitet, Zeller, Steinke, Wendenburg – alle haben dichtgemacht.

Müssen Sie als Pralinenmeister im Kampf gegen den Niedergang ab und zu neue Sorten erfinden?

Sicher. Die Cointreaubutterpraline geht auf mein Konto. Der Whisky-Trüffel, die Lucullus-Pflaume.

Was halten Sie von ganz neuen Geschmacksrichtungen mit Chili, Knoblauch oder Muskat?

Gar nichts. Das sind Moden. Am Ende bleibt das Altbewährte; das war schon immer so.

Und sagen Sie, welche Feinde – außer der Konjunktur – hat eine Schokoladenfabrik noch?

Karies, Schokoladenmotten, Konkurrenz und Mäuse.

INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB