„Geld schenken ist ein Vertrauensbeweis“

Alle Jahre wieder fragen sich alle: Was soll man schenken? Oder sich verweigern? Denn Weihnachtenist längst zum Event geworden, das die volkswirtschaftliche Jahresabrechnung aufpeppen soll

taz: Herr Nassehi, warum machen wir uns an Weihnachten Geschenke?

Armin Nassehi: Das Weihnachtsfest, wie wir es heute kennen, entwickelt sich mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Statt des kirchlichen Fests stand immer mehr die Selbstinszenierung der bürgerlichen Familie im Vordergrund. Zur bürgerlichen Familie gehört auch die Erfindung von Kindheit. Deshalb hat Weihnachten viel mit einer Spielzeugkultur zu tun, in der zunächst die Kinder beschenkt wurden.

Aber bei den Geschenken für Kinder ist es ja nicht geblieben.

Die bürgerliche Familie inszenierte sich an Weihnachten auch mit ihrem Wohlstand. Geschenke sollten Sympathie für den Beschenkten ausdrücken. An Heiligabend großzügig zu sein, bedeutete aber auch, sich in seiner unverwechselbaren Individualität zu stilisieren und sich das Wohlleben vorzuführen.

Hat sich die Funktion von Geschenken denn seitdem verändert?

Ja, ein konsumkritischer Diskurs wie vor 30 Jahren wäre heute fast undenkbar. Man verweigerte sich damals der Konsumgesellschaft, indem man selbst etwas bastelte. Dieser Diskurs hat sich eher umgekehrt. Manchmal hab ich den Eindruck, Weihnachtsgeschenke dienen nun vor allem dazu, die volkswirtschaftliche Jahresabrechnung noch einmal aufzupeppen. Bei sinkender Binnennachfrage scheint es eine moralische Pflicht geworden zu sein, tüchtig zu kaufen. Die klassische Funktion des Gabentauschs mit seinem hohen Verpflichtungscharakter besteht daneben jedoch weiter fort. Das Schenken folgt subtilen Verpflichtungen, die man kaum vermeiden kann, weil man nicht weiß, ob der andere auch nichts schenken wird.

Was heißt es eigentlich, wenn man sich Geld schenkt? Ist das nur Einfallslosigkeit?

Ich würde sagen, das ist ein besonderer Vertrauensbeweis. Die Funktion von Geld ist natürlich, sich von den konkreten Waren unabhängig zu machen. Augenzwinkernd sagt man damit, wir wissen doch, dass die Geschenke meist nicht so richtig hinhauen. Das gestehen sich aber nur Menschen ein, die sich gut kennen und darüber reden können. Einem Fremden würde man niemals Geld schenken. Der bekommt lieber die üblichen Geschmacklosigkeiten.

Warum wird immer behauptet, dass das Weihnachtsgeschäft so wichtig für die Konjunktur ist?

Wenn es das Weihnachtsgeschäft nicht gäbe, würden wahrscheinlich ganze Produktlinien wegbrechen – vor allem in der Unterhaltungselektronik. Weil das so ist, werden die Produkte von der Industrie – etwa bei den verschiedenen Preisstufen – auch gezielt in eine Form gebracht, die schenkbar ist. Diese industrielle Geschenkkultur bildet sich bei uns mit dem Wirtschaftswunder heraus. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass in den 50er-Jahren die Überwindung der jüngsten Vergangenheit auch stark über die Inszenierung einer funktionierenden Familie – inklusive bürgerlicher Weihnachtskultur. Zusammen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung entstand so auch die industrielle Geschenkkultur zu Weihnachten.

Die Inszenierung von Familie ist heute aber nicht mehr so einfach wie damals?

Auch wenn die klassische Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern heute nur noch eine Lebensform unter anderen ist, scheint mir die Idee von Familie für Weihnachten immer noch zentral. Familien existieren das ganze Jahr nicht – an Weihnachten plötzlich doch. Wer gehört zur Familie dazu? Wen lädt man ein, wen besucht man? Diese Fragen stellen sich vielen so nur an Weihnachten.

2005 wurde viel über die Rückkehr der Religion geredet. Wird Weihnachten wieder religiöser?

Religiöse Inhalte sind in der Öffentlichkeit wieder selbstverständlicher. Ein christliches Selbstbewusstsein, wie es in Amerika existiert, wird auch in Europa wieder stärker. Dass sich dadurch aber Weihnachten verändern wird, bezweifle ich.

Warum finden so viele Menschen Weihnachten einfach schrecklich?

Es gibt verschiedene Motive: Die Kampf-Authentiker sagen, das ist gar nicht das richtige Weihnachten. Das richtige Weihnachten ist für sie nur das kirchliche Fest und nicht die Familienfeier. Für die meisten ist Weihnachten natürlich furchtbar, weil es mit unglaublichem Stress verbunden ist. Familien beschreiben sich gern selbst so, dass man sich untereinander alles sagen kann. An Weihnachten merkt man, dass das bisweilen nicht die Lösung ist, sondern das Problem. Besonders sichtbar werden an Weihnachten übrigens die allein Lebenden. Wer ganz bewusst ohne Familie lebt und damit glücklich ist, stößt an Weihnachten auf das Problem, dass es es einfach kaum kulturelle Alternativen zur Familienfeier gibt.

INTERVIEW: JAN PFAFF