Mord auf Befehl oder nicht?

Kriegsverbrecherprozess in Belgrad fragt nach Verantwortung der serbischen Regierung

BELGRAD taz ■ „Mir tut niemand Leid, den ich getötet habe, und ich schlafe gut“, erklärte vor dem Belgrader Sondergericht für Kriegsverbrechen Slobodan Medić, der Hauptangeklagte im Prozess um die Ermordung von sechs muslimischen Zivilisten im Juli 1995 beim Dorf Trnovo in Bosnien. Der Kommandant der bosnisch-serbischen Einheit „Skorpione“ wies allerdings die Schuld für dieses konkrete Verbrechen zurück. Denn er sei zwar vom ersten bis zum letzten Tag im Krieg und der „Herr über Leben und Tod“ gewesen, doch er habe „nie genommen, was nicht ihm gehört“.

Der am Dienstag begonnene Prozess gegen „Skorpione“ bringt zum ersten Mal in Serbien strafrechtlich eine bosnisch-serbische Einheit in Zusammenhang mit dem Massaker in Srebrenica. Die Anklage wurde erst erhoben, nachdem eine schockierende Videoaufnahme auftauchte: Man konnte sehen, wie die „Skorpione“ sechs erschrockene Männer in schäbiger Kleidung, mit am Rücken zusammengebundenen Händen einen nach dem anderen kaltblütig erschießen. Spätere Untersuchungen zeigten, dass es sich um Bosniaken gehandelt hatte.

Junge Männer zogen in den Krieg, ein Leben damals sei gerade „ein Glas Mineralwasser“ wert gewesen, erklärte Kommandant Medić. Er habe zwar seine Männer auf dem Video erkannt, doch den Befehl für die Hinrichtung nicht erteilt. Hätte er allerdings gewusst, dass jemand das Morden aufnahm, er hätte ihn „wie einen Hasen über den Haufen geschossen“.

Der serbische Staatsanwalt für Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcević, versprach den anwesenden Familienangehörigen der Opfer ein „professionelles“ und „äußerst gewissenhaftes“ Verfahren und die Verurteilung der Täter. Erst neulich wurden in Belgrad die unmittelbar Verantwortlichen für das Massaker in Ovcara bei der kroatischen Stadt Vukovar zu maximalen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die Schlüsselfrage bleibt jedoch offen: Waren die „Skorpione“ eine „reguläre“ Einheit oder eine paramilitärische Gruppe, die auf eigene Faust handelte? Letzteres ist der allgemein verbreitete Standpunkt in Serbien.

Die Chefanklägerin des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen in Den Haag, Carla del Ponte, behauptet dagegen, dass die bosnisch-serbische Militärspitze angeführt vom flüchtigen General Ratko Mladić, der Generalstab in Belgrad und Serbiens Expräsident Slobodan Milošević die „Kommandoverantwortung“ für Kriegsverbrechen in Bosnien tragen. „Skorpione“ und ähnliche Einheiten habe der serbische Geheimdienst gegründet und bezahlt, so del Ponte. Mladić und andere für Kriegsverbrechen verantwortliche bosnisch-serbische Offiziere seien aus dem serbischen Staatshaushalt bezahlt gewesen und hätten die Befehle während des Bosnienkriegs aus Belgrad erhalten. Deshalb weigere sich die serbische Regierung, dem Tribunal die belastenden Dokumente zu übergeben. Sollte die Befehlskette nachgewiesen werden, könnte das einige noch immer aktive serbische Offiziere, aber auch Politiker belasten.

ANDREJ IVANJI