SCHLESISCHES TOR
: Der Fahrrad-Tramper

Gibt ihm das Sitzen auf fremden Gepäckträgern einen Kick?

„Hallo, ich hab da mal eine Frage.“ Ich bin zwar Berliner, aber man will ja trotzdem höflich sein, also bremse ich mein Fahrrad ab. Wir befinden uns am Schlesischen Tor, vielleicht ist der Typ, der mich gerade angequatscht hat, ein Tourist, der zur East Side Gallery will, solange sie noch steht. Will er aber nicht. „Könnten Sie mich auf dem Gepäckträger ein Stück mitnehmen, bis zum Görlitzer Park?“ Das letzte Mal, als ich jemanden hinten auf dem Fahrrad mitgenommen habe, das war vor ungefähr 20 Jahren: Susanne. Die sah gut aus und wir waren beide angetrunken. Gerade aber bin ich nüchtern und absolut nicht erotisiert, wie also käme ich darauf, diesen Typen auf meinem alten Fahrrad mit den schlecht aufgepumpten Reifen auch nur über die Straße mitzunehmen. Also: „Nee, sorry.“

Drei Tage später, andere Fahrtrichtung, ungefähr dieselbe Stelle: erneut der Typ. „Sie, ich hab da mal ’ne Frage, können Sie mich hintendrauf zum Frankfurter Tor mitnehmen?“ Bereits dreimal hatte ich diese skurrile Begegnung. Wie soll man sich das Treiben dieses Menschen nun genau vorstellen? Steht der den ganzen Tag da und hofft darauf, die Warschauer Straße rauf- und runtergegondelt zu werden? Spricht er überhaupt jeden an oder aus irgendwelchen Gründen immer nur mich?

Die große Frage, die sich auch stellt und auf deren Beantwortung ich es bisher noch nicht habe ankommen lassen, ist: Was genau würde eigentlich passieren, wenn man den Typen wirklich mal mitnähme? Würde er einen nach der Geldbörse abtasten? Handelt es sich um einen Frotteur, der mit Hilfe eines abgefeimten Tricks Körperkontakt sucht? Gibt ihm allein das Sitzen auf fremden Gepäckträgern irgendeinen Kick? Oder würde man am Ende einfach nur einen netten Menschen mal auf eine etwas andere Art und Weise kennenlernen? ANDREAS HARTMANN