„Moabit ist ja so etwas wie der Blinddarm von Mitte“

KIEZAKTIVISMUS Der Rapper Frank Wolf hat für seine Wahlheimat Moabit die Figur des Kapitän Kiez erschaffen, um etwas im Stadtteil zu bewegen, der sich gerade vom Armenhaus zum neuen Trendbezirk entwickelt. Doch bei den Anwohnern sei er vor allem auf Trägheit und Apathie gestoßen, klagt er. „Moabit braucht Hilfe von außen“, sagt der Macher der Showbühne „Beste Story“

■ Die Karriere: Der 39-Jährige ist im Wedding geboren und lebt seit 33 Jahren in Moabit. Er ist in der Sprayer- und HipHop-Szene groß geworden und schloss eine Ausbildung zum Gas-Wasser-Installateur ab. Seit 1994 verdient er seinen Lebensunterhalt als professioneller BMX-Artist. 1998 gründete er als DOA 21 das Independent-Label „Artikulabor“. Zehn Jahre später brachte der Autofreak über Sony Music die Single „Zeig mir deine Karre“ heraus, die aber floppte.

■ Der Kiez-Aktivist: Danach wollte sich Wolf stärker für seinen Kiez einsetzen und rappte „Mein Herz schlägt für 21“. Durch das Stück erlangte er eine gewisse Bekanntheit im Kiez und kürte sich schließlich selbst zum „Kapitän Kiez“, zum inoffiziellen Bürgermeister in Kapitänsuniform. In dieser Rolle wollte er Moabit voranbringen und gründete unter anderem einen Antigentrifizierungstisch. Doch nun hat er die Karriere als Aktivist an den Nagel gehängt. Sein Geld verdient er nach wie vor als BMX-Artist.

INTERVIEW MARTIN RANK
FOTOS PIERO CHIUSSI

taz: Herr Wolf, Sie haben sich vor zwei Jahren mit einigem Tamtam zum inoffiziellen Bürgermeister von Moabit gekürt. Was sollte das werden?

Frank Wolf: Ich lebe ja seit 33 Jahren in Moabit, kannte den Kiez bisher nur aus der Sicht eines Straßenkünstlers und als Hip-Hopper. Irgendwann fragte ich mich, wie der Kiez funktioniert und wer dahintersteckt. Ich kann „Moabit“ rappen, so oft ich will. Aber am Ende sind es die runden Tische, die hier etwas steuern. Ich wollte dort nicht als Rapper DOA 21 auftauchen. Darum habe ich Kapitän Kiez erfunden, den inoffiziellen Bürgermeister von Moabit. Und in dieser Rolle wollte ich etwas für meinen Kiez tun. Moabit ist ja so etwas wie der Blinddarm von Mitte. Seit der Bezirkszusammenlegung hatte man immer das Gefühl, dass das Geld nur nach Alt-Mitte fließt und Moabit der Arsch der Welt bleibt. Daran ändert sich nichts, wenn keiner auf den Tisch haut und sagt, dass da ein paar Leute sind, die etwas bewegen wollen. Ich habe einfach Geld und Lebenszeit in die Hand genommen und gesagt, lass uns etwas anpacken. Daraus ist eine kostenlose Imagekampagne für den Bezirk, ein Kiezcafé und ein kleiner Web-TV-Kanal entstanden.

Gab es da irgendein Schlüsselerlebnis?

Das fing 2009 an, als klar wurde, dass die Rathauskantinen in Moabit und im Wedding geschlossen werden sollten, weil der Bezirk Geld sparen wollte. Meine Eltern hatten mich darauf aufmerksam gemacht. Für mich ist das ein Supertreffpunkt für Senioren, um günstig essen zu gehen. Und da habe ich mich als Koch verkleidet und zusammen mit meinen Eltern und anderen Unterschriften gesammelt. Hier habe ich zum ersten Mal gesehen, wie die Leute reagieren: „Da kann man nichts ändern, ist eh beschlossene Sache“, haben die meisten gemeint. Da habe ich gesagt: Leute, wenn ihr so denkt, werden wir nichts ändern. Es kamen ganz viele Moabiter, die gar nicht wussten, dass man da oben für 2,80 Euro richtig geil essen kann. Fazit: Nachdem wir ganz viele Unterschriften sammeln konnten und die Medien auf das Thema aufmerksam gemacht haben, wusste die Bezirksversammlung: Das könnte für uns gefährlich werden. Die Kantinen blieben offen. Das hat mich natürlich sehr stark motiviert.

Warum haben Sie sich als Kapitän verkleidet? Trauen Sie sich dann mehr?

Ich stehe 20 Jahre auf der Bühne, da ist keine Angst mehr. Ich unterhalte ohne Probleme 6.000 Leute mit meiner BMX-Show, ohne ein Funken Lampenfieber. Das ist mein Leben. Aber mit der Rolle des Kapitäns war das noch mal super aufregend. Stell dir vor, du ziehst so ein Kostüm an und läufst durch den Kiez, da weißt du auch nicht: Bist du jetzt der Kloppi? Ich falle einfach für den Moment in diese Rolle und dann bin ich total frei von Hemmungen, dann ist alles machbar.

Wollten Sie ein Superheld sein?

Nee. Das Kostüm sollte klarstellen, dass es nicht ganz ernst gemeint ist mit dem Bürgermeistertitel. Trotzdem wurde ich plötzlich wie ein echter Bezirkspolitiker scharf kritisiert. Als Kiezrapper kennst du das ja gar nicht. Da habe ich gemerkt, wie einige Leute hier so eingestellt sind. Du hast Hunderte von Leuten hier, die nur abkotzen. Selbst wenn ein falscher Kapitän vor ihnen steht.

Worüber kotzt man denn so ab in Moabit?

Da ist zum Beispiel das Turmstraßenfest: Die Bürger sagen nicht ganz zu Unrecht, dass es sich dabei um eine Sauf- und Fressmeile handelt, die überhaupt keinen künstlerischen Anspruch hat. Vier runde Tische habe ich ins Leben gerufen, um etwas aus dem Fest rauszuholen. Ich organisierte eine offene Bühne, habe drei Monate lang alle meine Künstlerkontakte gescannt, mit dem Artenschutztheater und den Künstlern vom Wintergartenvarité ein Hammerprogramm auf die Beine gestellt.

Und, ist es angekommen?

Jetzt stell dir vor: Nach drei Monaten Stress musst du dir wieder anhören, wie kacke das Turmstraßenfest doch ist und zwar nicht von Fremden, sondern von Leuten, die dich kennen, die wissen, dass es deine Bühne gab. Ich habe dann zu denen gesagt: „Du kotzt ja immer so über das Fest ab. Ich habe eine Bühne, ich habe ein kleines Budget vom Veranstalter und jetzt frage ich dich: Was möchtest du auf der Bühne erleben? Kennst du Leute?“ Und dann kommt das Feedback: „Lass mich mit dem Turmstraßenfest zufrieden – so ein Drecksfest!“ Was soll ich da noch machen? Da frustest du. Ich kann zum Glück immer rausgehen zu den BMX-Shows und meinen Erfolg feiern. Dann nehme ich diese geile Energie mit und verpulvere die wieder in Moabit. Aber manchmal bin ich von einem Event zurückgekommen und habe fast eine Depression bekommen.

Seit wann fahren Sie BMX?

Seit 1987, also seitdem ich 14 bin. Wir haben damals stundenlange Straßenshows auf dem Ku’Damm aufgeführt, dort, wo jetzt die Breakdancer stehen. Damals hingen dort die Plakate von „Menschen, Tiere, Sensationen“, eine große Indoor-Zirkus-Show. Als kleiner Junge wollte ich da immer mitmachen. Dann habe ich einfach mal angerufen. Die Frau von der Messe Berlin fand das so süß, wie der Kleine da ankommt. Ich war der kleine schüchterne Frank, der seine Skills präsentiert. Also war ich 1995 in der großen Show. Mein Auftritt war noch lange nicht so plakativ und kommunikativ wie heute. Es kamen größere Shows, aber das war der emotionalste Auftritt. Ich musste nie Werbung machen. Das hat sich einfach herumgesprochen. Beim HipHop ist das anders: Da musst du immer sagen: Ich bin die geilste Arschgeige.

Kann man von den BMX-Shows gut leben?

Ja, ich verdiene damit so viel Geld, dass ich meine Miete bezahlen und ein bisschen herumspinnen kann.

Und als Kapitän Depressionen bekommen. Was Sie erzählen klingt so, als wären die Moabiter ziemlich apathisch. Ist das so?

Ich glaube, dass hier schon einige Leute sehr müde geworden sind, die mal super aktiv waren. Einige Ältere, die in den 90ern echt gekämpft haben und etwas bewegen wollten, erzählen mir, dass sie auch auf dieselbe Scheiße gestoßen sind, dass man nur ausgebremst wird. Ich habe mir gesagt: Ich will nicht mit 80 Jahren mit tiefen Augenringen durch Moabit laufen und dann kommen die Leute und klopfen mir auf die Schulter. Ich habe an jeglichen runden Tischen gesessen und überall ist die Energie einfach verpufft. Auch am Gentrifizierungstisch.

Den hatten Sie gegründet, nachdem einer Frau während einer Luxussanierung in der Calvinstraße 21 die Fenster zugemauert worden sind. Warum ist die Energie verpufft?

Ich hatte Experten organisiert und wollte sie mit Betroffenen zusammenbringen. Zig Anwohner hatten mir erzählt, dass sie von Mietsteigerungen betroffen sind. Aber am Gentrifizierungstisch haben wir hier alle gesessen, zwölf Leute, haben uns immer wieder die Beine in den Bauch gestanden und gewartet, dass die Menschen mit ihren Problemen kommen. Sie sind nicht gekommen. Mal setzt sich eine Frau hin und sagt, dass das ganze Haus von Mietsteigerungen betroffen ist. Und dann frage ich, warum sie denn alleine hier sitzt, warum sie nicht zwei Mietparteien mitbringt oder das ganze Haus, damit wir mal irgendwo eine große Fahne hochziehen können? Da habe ich kein Verständnis. Alle wollen nur das Gleiche, aber keiner will sich bewegen.

Heißt das, der Kapitän ist jetzt beerdigt?

Nein, aber der Kapitän ist nicht mehr der Kiezaktive, der er mal war. Das heißt, dass der Kapitän jetzt nur noch für Unterhaltung und gute Stimmung sorgt. Ich werde mich nicht mehr volllabern lassen. Wichtig ist auch, dass man selber glücklich wird. Es macht ja total unzufrieden. Hätten wir uns vor einem Jahr getroffen, wäre ich nur gefrustet gewesen. Immerhin habe ich hier mit „Moabit ist Beste“ eine kostenlose Imagekampagne für den Kiez geschaffen. Das hat jeder gefressen. Das kannte selbst Bezirksbürgermeister Christian Hanke. Das bringt aber nichts, wenn das Netzwerk nicht funktioniert. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass sich Moabit, um es knallhart zu sagen, nur durch Energie von außen bewegen kann.

Ich habe den Eindruck, dass die Moabiter vieles ablehnen, was von außen kommt. Als ich hergezogen bin, kam ein altes Ehepaar heraus und flüsterte auf dem Innenhof: „Wir hoffen, Sie wissen, dass das ein ruhiges Haus ist.“

„Nur weil die Leute im Café Moabit einmal im Monat lachen, wird nicht gleich die Miete steigen“

Alles, was sie nicht kennen, wird zehnmal umkreist. Die haben Angst. Auch ich als jung gebliebener Moabiter habe das vor zwei Jahren ähnlich gesehen. Ich hätte auch Angst gehabt, Studenten mit einem Handschütteln zu empfangen. Weil ich tief drin gesteckt habe in diesem Urmoabiter Denken. Ich kenne das Gefühlswirrwarr. Wie traurig muss es eigentlich sein, wenn ich mir vorstelle, dass alles um dich herum zusammenbricht. Wenn du dich mit 80 Jahren in deinem Kiez fremd fühlst aber kein Geld zum Umziehen hast. Das ist traurig. Genau das hat mich dazu bewegt, hier aktiv zu sein. Mein zu Hause so zu formen, wie die Leute sich das hier wünschen. Aber es hat sich eben gezeigt, dass sich jeder etwas anderes für seinen Kiez wünscht.

Wenn Sie einmal im Monat zur „Besten Story“ einladen, ist Ihr Café komplett voll, ebenso der Fußweg. Das nennt man Aufwertung.

Hier im Café Moabit in der Emdener Straße ist eine Stimmung, wie du sie selten erlebst. Dann bekommt man mit, dass sich etwas verändert, auch für Moabit. Wenn der Gentrifizierungsexperte Andrej Holm deinen Link teilt und schreibt: „Ein Hauch von Prenzelberg der 90er. Aufpassen, dass es hier nicht genauso wird.“ Da gingen bei mir die Alarmglocken: Genau so beginnt es. Wir sind auch selbst dran Schuld, wenn die Mieten steigen. In dem Moment bin ich echt nach hinten weggefallen, weil ich vorher über so etwas gar nicht nachgedacht habe. Du denkst nur, dass du etwas Geiles machen willst. Ich verschenke ja quasi Kultur. Es kostet keinen Eintritt. Ich biete Künstler, die normalerweise viel Geld nehmen.

Wer kommt denn so zur Show?

Ich frage bei „Beste Story“ immer, woher die Leute kommen. Und beim ersten Mal waren von 80 Leuten drei aus Moabit! Und ich dachte: Alter, dafür war der Raum nicht gedacht. Da war ich echt sauer. Sauer auf Moabit. Mittlerweile sind es so 40 Prozent Moabiter und der Rest kommt von Friedrichshain oder Neukölln bis nach Moabit gefahren, obwohl es hier danach nichts mehr gibt. Die kommen wirklich nur für den Moment her und hauen dann wieder ab.

Aber Stadtsoziologe Andrej Holm sagt, dass der Faktor Kreative und kulturelle Avantgarde bei der Gentrifizierung überschätzt wird.

Ich glaube auch, dass es nicht damit zusammenhängt. Denn hier geht ja eigentlich nichts. Nur weil die Leute im Café Moabit einmal im Monat lachen, wird nicht gleich die Miete steigen. Die Aufwertung der Wohnungen ist unabhängig davon längst voll am Laufen. Es ist auch einfach die attraktive Lage. An der Spree sieht es schon aus wie im Prenzelberg. Aber das rollt auf den ganzen Kiez zu. Wenn ich einen Tag in meinem Café sitze, sehe die Leute vorbeilaufen, dann sind das nicht nur Moabiter und Kaputte, sondern auch Studenten, die hier in WGs leben. Früher haben alle gesagt: Vorsicht, Moabit ist kriminell und dirty. Ich wurde in meinen 33 Jahren Moabit noch nie bedroht oder überfallen, sondern nur verbal angegriffen. Hier und da musste ich mal vermitteln, um Gewalt zu entschärfen, die leider genauso zu unserem Kiez gehört. Heute höre ich von Studenten, dass sie jedem erzählen, wie geil Moabit ist und dass ihnen hier noch nie etwas geklaut wurde. Und dann multipliziert sich das.

Und wie geht’s jetzt bei Ihnen weiter: Geht der Kiezaktivist zurück zur Bühne?

Ja, meine Freundin sagt: Guck auf das Wesentliche, Frank. Zurück zum Anfang: Entertainment. Das ist meine Stärke. Das ist das, was mich fordert. Da blühe ich auf. Klar habe ich auch zwei Jahre geblüht mit Moabit. Vor zwei Jahren hätte ich dir gesagt, dass funktioniert nur, wenn ich Moabiter miteinander vernetze, die sich vorher nicht getroffen haben. Aber der Kiez funktioniert auch ohne meine Aktivitäten. Das ist interessant zu sehen. Und nicht alles, was von außen kommt, ist böse. Da darf man keine Angst haben.