IN DER MILCHBAR
: Für Gott

Den Entzug verdämmerte er im Koma

Die Milchbar ist gut gefüllt. Und zwar mit gemischtem Publikum. Jüngere, Ältere und Altgenossen. Von Bommi Baumann, der aus seinem Buch liest, meistens aber frei Schnauze erzählt, wa! Bommi Baumann pflegt den breiten Balliner Dialekt, bei dem ich mich frage, wie um Himmels Willen er damit in der großen weiten Welt zurechtkam, als er sich auf der Flucht vor dem BKA-Zielkommando „Bommi Baumann“ befand. Es geht um „Rausch und Terror“, und so lautet zufälligerweise auch das Buch. Bommi Baumann ist dem Tod gerade noch mal so von der Schippe gesprungen. Zugezogene Vorhänge, Heroin und eine Flasche Wodka auf Ex am Tag, damit gab er sich die Kante, wurde im „Gulli“ eingeliefert, das Urban-Krankenhaus, und spürte von dem harten Entzug nur deshalb nichts, weil er ihn im Koma verdämmerte. Dennoch hatte man ein fröhliches Verhältnis zu all den bunten Pillen, da wurde experimentiert, was das Zeug hielt, aber gut drauf war man trotzdem. Im Gegensatz zu heute, wo junge Türken sich sogar während des Fußballspielens in die Büsche schlagen, um kurz zu schnüffeln. Man möchte lieber damals als heute Drogen genommen haben. Und jetzt noch der Terror. Mitte der 60er befand sich die Oranienstraße fest in der Hand der Bauarbeiter, die freitags ihren Wochenlohn in den berüchtigten Balliner Kneipen in Alkohol umsetzten. Das war für einen Langhaarigen Spießrutenlaufen vom feinsten, wa. Bommi Baumann will immer noch den Kapitalismus abschaffen. Er rät zum Generalstreik. Aus den Tiefen der Milchbar ruft jemand „Revolution“. Wenn ich die Stimmung richtig deute, ist man sich einig, aber daran glauben mag man auch nicht, lieber trinkt man Wodka. Ich lasse mir von Bommi Baumann sein Buch signieren. „Was soll ick denn reinschreiben?“, fragt er. „Was du willst.“ Er schreibt: „Für Gott.“ Ich finde das eine sehr schöne Widmung. KLAUS BITTERMANN