SONNTAGSRITUAL
: Herr Detlef

Er erzählt seine Anekdoten stets mit feinsinnigem Humor

Herr Detlef arbeitet, obwohl er vor einigen Wochen 70 geworden ist, immer noch als Vermessungsingenieur, wohnt in der Nähe des Kurfürstendamms, hat eine stattliche Figur und fährt seit drei Jahren jeden Sonntag mit seinem Damenfahrrad zu meinem Stammcafé nach Prenzlauer Berg. Eigentlich heißt er mit Vornamen Detlef.

Aber es hat sich eingebürgert, dass ich ihn Herr Detlef und er mich Herr Alem nennt. Herr Detlef kommt immer gegen 17 Uhr, legt seine braune Ledertasche auf die Theke, begrüßt alle Stammgäste per Handschlag, bekommt, ohne zu fragen, seinen roten Wein serviert und entnimmt seiner braunen Ledertasche alle Ausgaben des Tagesspiegels der vergangenen Woche.

Dann setzt er seine Brille auf, durchblättert die Zeitungen, stolpert irgendwann über einen Artikel und beginnt eine Diskussion über ein tagesaktuelles Thema. Als die Deutschlandhalle abgerissen wurde, sagte er zum Beispiel: „Das ist traurig, Herr Alem. Wissen Sie, diese Halle war mehrere Jahrzehnte ein Teil meines Lebens, ich war dort auf vielen Konzerten, und jetzt ist sie einfach weg.“ Herr Detlef genießt es, mit uns jüngeren Leuten, wie er uns nennt, über Gott und die Welt zu plaudern: „Sie sind also, Herr Matze (das ist der Kellner), noch zu Ostberliner Zeiten hier aufgewachsen. Ich nehme an, dass Ihre Ostberliner S-Bahn wie unsere Westberliner S-Bahn seinerzeit keine Probleme mit Wintereinbrüchen hatte.“

Herr Detlef erzählt seine Anekdoten aus alten und neuen Westberliner Zeiten stets mit feinsinnigem Humor vornehmer Zurückhaltung. Alle mögen Herrn Detlef. Nach zwei bis drei Gläsern Rotwein und einigen inspirierenden Gesprächen packt er dann seine Zeitungen wieder ein, verbeugt sich und sagt zum Abschied: „Bis zum nächsten Sonntag. Machen Sie es gut, meine Herren. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.“

ALEM GRABOVAC