Wagner ohne Rammstein

MUSIK Bei einem Gespräch an der Komischen Oper ging es um die Frage, warum sich die Gattung Oper so schwer mit dem Hybriden tut

Früher oder später wird alles zu Musiktheater. Manchmal scheint es mir, als hätte das Theater der letzten zehn Jahre dies zu einem Motto erhoben. Am Schauspiel Köln haben Nicolas Stemann und Karin Beier Texte von Jelinek in eine Partitur verwandelt. Friederike Heller hat mit der Band Kante an der Berliner Schaubühne und anderen Häusern antike und klassische Dramen spannend interpretiert. Jürgen Kuttner und Tom Kühnel durchschießen am Deutschen Theater ein Well-made-play wie „Demokratie“ mit Schlagern, die eine unerwartete Kraft als Kommentare zu Politik und Mentalitätsgeschichte entfalten. Oft entsteht etwas in diesen hybriden Formen, das nicht vorhergesehene Kontexte erschließt.

Nur eine Institution tut sich schwer mit dem Aufbrechen der Gattungen – und das sind ausgerechnet die Opernhäuser. Darum drehte sich am Freitagnachmittag ein Gespräch an der Komischen Oper. Mit dabei war Nele Hertling, die von 1988 an über fünfzehn Jahre lang als Leiterin des Hebbel-Theaters und damit Koproduzentin vieler Formate zwischen Theater und Musik ganz sicher auch eine Förderin der Angriffe auf die Gattungsgrenzen gewesen ist. Mit dabei war auch der Regisseur Sebastian Baumgarten, der an Theater und Opern inszeniert. Viel öfter würde er gern die Partitur eine Oper aufbrechen, mit anderem Material collagieren – an der Volksbühne etwa haben Robert Lippok und Tarwater an Puccinis Tosca mit Baumgarten gearbeitet. In einer Inszenierung von Wagner in Bayreuth aber einer Figur einen Song von Rammstein zuzuordnen, das sei unmöglich, sagte er.

Nun hätte Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper und Gastgeber des Gesprächs, auf dem Podium zwar die Rolle annehmen können, die Oper gegen solche Wünsche zu verteidigen, aber nichts lag ihm ferner. Er möchte ja gerade mit der Offenheit seines Hauses werben. Und versuchte so eher die Möglichkeiten zu skizzieren, die ein Intendant hat.

„Malen nach Zahlen“. Auf diesen Begriff brachte Baumgarten den Routinebetrieb einer Oper, wenn ein Regisseur sich zwar lange Zeit am Schreibtisch sein Konzept überlegen kann, dann aber in sechs Wochen Proben die Zeit fehlt, mit den Darstellern ihre Zugänge zum Stoff zu erkunden. Oft kappe das enge Zeitkorsett der Proben von 10 bis 13 Uhr täglich auch einen Entwicklungsprozess mittendrin ab. Er liebt die Proben. Aber er vermisst eine Flexibilität, die es braucht, um Inszenierungen als gemeinsame Projekte zu realisieren und nicht in hierarchisch geordneter Arbeitsteilung.

Ein anderer Kritikpunkt galt der angeblichen „Unantastbarkeit“ der Opernwerke. Dabei wussten alle auf dem Podium, dass Komponisten wie Mozart und Rossini selbst ihre Werke inszenierungsbedingt umgeschrieben haben. Eher sei es ein Bündel von Sachzwängen, die eine Öffnung der Partitur verbiete, die von Verlagen oder vom Orchester gegen Eingriffe geschützt werde.

Das Publikum im Foyer der Komischen Oper schien hauptsächlich aus opernnahen Kulturarbeitern zu bestehen. Eine Utopie, dass viel an Veränderung möglich sei, zeigte sich auch in deren Gesprächsbeiträgen nicht. Selbst als Opernkritiker Uwe Friedrich, Moderator des Gesprächs, vom Vorschlag des Komponisten Heiner Goebbels erzählte, eines der drei Berliner Opernhäuser in ein Labor für anderes Musiktheater zu öffnen, löste er keine Kontroversen aus. Klar sei ein solches Haus wünschenswert, meinte Hertling: Aber dafür eine Oper zu opfern? Und auch über Geld, den entscheidenden Faktor hinter den Produktionsbedingungen, redete man an diesem Nachmittag nicht. Kein Wunder: Es war ja auch kein Vertreter der Freien Szene dabei, die sich organisiert hat, um kulturpolitischen Forderungen zu artikulieren.

KATRIN BETTINA MÜLLER