Dankbare Debatte

DUELL Schalke kann Leverkusen nicht näher auf die Pelle rücken. Trainer Jens Keller glaubt dennoch an ein Überholmanöver

Jens Kellers Stärken liegen eher anderswo als in der Deutung der Tabelle

AUS GELSENKIRCHEN DANIEL THEWELEIT

Es wird ja viel geredet nach so einem Fußballspiel, und so kann es durchaus mal vorkommen, dass die eine oder andere Fehleinschätzung in die Welt gesetzt wird. Aber die Tabelle interpretieren die Beteiligten in der Regel schon korrekt, was nach dem sehenswerten 2:2 des FC Schalke 04 gegen Bayer Leverkusen erstaunlicherweise nicht der Fall gewesen ist. Sein Team habe „Platz vier gefestigt“, verkündete Schalkes Trainer Jens Keller voller Überzeugung. Nimmt der Mann den immer näher rückenden SC Freiburg nicht ernst? Oder fühlte er sich wie ein Sieger, weil seine Mannschaft einen 0:2-Rückstand aufgeholt hatte? Wie dem auch sei, offenbar liegen Kellers Stärken eher anderswo als in der Deutung des Tableaus.

Die Schalker Chancen, Platz vier zu verteidigen, sind an diesem Abend nämlich eher nicht größer geworden. Der SC Freiburg stand in der Blitztabelle bis zu Raffaels spätem Elfmeterausgleich (87.) sogar vor den Gelsenkirchenern, die am letzten Spieltag in den Breisgau reisen müssen, wo möglicherweise der große Showdown um die letzte Königsklassenoption steigt. Zumindest, wenn es Kellers Mannschaft gelingen sollte, die anderen Bewerber um den Champions-League-Qualifikationsplatz auf Distanz zu halten, was schwer genug wird. Denn die nächsten Schalker Auswärtspartien finden in Frankfurt und in Mönchengladbach statt, bei Klubs, die ebenfalls vom 4. Platz träumen. Keller jedoch meinte forsch: „Wenn Leverkusen noch den einen oder anderen Ausrutscher hat, wollen wir gerne zugreifen.“

Der Mann hofft tatsächlich noch, den Werksklub überholen zu können, der vier Punkte Vorsprung hat. Oder waren all diese Aussagen Teil eines großen psychologischen Plans? Möglicherweise will Keller ein positives Ziel vorgeben, denn wenn der FC Schalke etwas zu verlieren hat, ist die Versagensgefahr traditionell besonders groß.

Natürlich lesen auch die Spieler die Tabelle, und sie werden schnell feststellen, dass die Lage der Leverkusener nicht nur wegen des Punktevorsprungs komfortabler ist. „Wir hätten heute einen großen Schritt machen können und haben einen kleinen gemacht“, sagte Bayer-Sportdirektor Rudi Völler, nachdem die Rheinländer durch Tore von Simon Rolfes (39.) und Stefan Kießling (58.) 2:0 geführt hatten.

Wieder einmal waren die Leverkusener lange die klar bessere Mannschaft, wieder einmal haben sie eine Führung verspielt, wieder einmal gingen sie fahrlässig mit ihren Großchancen um. Und wieder mal haben sie einen Gegner durch einen dummen Fehler zurück ins Spiel gebracht, als Bernd Leno einen eher harmlosen Ball vor die Füße von Teemu Pukki prallen ließ, der zum 1:2 traf (71.). Zu diesem Zeitpunkt habe sein Team schon deutlich „höher führen müssen“, klagte Rolfes, der allerdings in einer Szene erstaunlich kaltblütig zu Werke gegangen war.

Beim 1:0 lag Ciprian Marica nach einem Zusammenprall mit Stefan Kießling im Strafraum auf dem Boden, das Publikum forderte vehement, dass der Ball ins Aus gespielt wird, aber Leverkusen machte weiter, bis Rolfes das überfällige Führungstor für die Gäste geköpft hatte (39.). Die Mannschaft habe in dieser Situation „alles richtig gemacht“, meinte Völler, der eine Grundsatzrede zu den Gepflogenheiten in der Bundesliga hielt: „Bei uns in Deutschland wird doch viel zu schnell permanent der Ball ins Aus geschossen, wenn einer an der Mittellinie liegt.“

Die Schalker Protagonisten richteten ihre Kritik im Gegensatz zum Publikum auch eher an den Schiedsrichter. „Manuel Gräfe stand 40 Meter entfernt“, sagte Horst Heldt, „ich habe von der Tribüne aus nicht gesehen, ob Marica vielleicht blutet, ob er bewusstlos ist, ob die Zunge vielleicht zurückliegt“, führte der Manager aus, „ich glaube, dass der Schiedsrichter das auch nicht sehen konnte.“ Keller argumentierte ganz ähnlich, während die Leverkusener keinen Grund für eine Unterbrechung sahen, in einem Punkt schien aber schweigendes Einvernehmen zu herrschen: Die Debatte taugte wunderbar, um nicht ausführlicher über die wahren Probleme, die ungeklärten Trainerfragen und die mangelnde Konstanz diskutieren zu müssen.