Wirtschaft linker als Regierung

STUDIENFINANZIERUNG Unternehmenslobby kritisiert die Regierungspläne zum Nationalen Stipendienprogramm. Soziale Herkunft und Engagement müsse stärker anerkannt werden

„Gefördert werden vor allem akademische Besserverdiener“

ANDREAS SCHLÜTER, STIFTERVERBAND

AUS BERLIN MARTIN KAUL

Der wirtschaftsnahe Stifterverband für die deutsche Wissenschaft kritisiert das von der schwarz-gelben Koalition geplante Nationale Stipendienprogramm für Studierende. Generell unterstützten die deutschen Unternehmen die Idee des Stipendienmodells, das von der Bundesregierung geplante Modell dürfe aber nicht blind für soziale Faktoren sein, sagte der Generalsekretär des Stifterverbandes, Andreas Schlüter, am Donnerstag in Berlin.

Der Stifterverband, die wissenschaftspolitische Lobby von rund 3.000 deutschen Unternehmen, Unternehmensverbänden, Stiftungen und Privatpersonen, forderte, dass bei der Auswahl von StipendiatInnen künftig nicht nur Noten zählen dürften, sondern auch Kriterien wie soziale Herkunft und gesellschaftliches Engagement anzuerkennen seien. „Die bisherige öffentliche Begabtenförderung fördert vor allem Studierende aus akademischen Besserverdiener-Haushalten. Das muss sich ändern“, sagte Schlüter.

Damit erhält die schwarz-gelbe Koalition Druck von einer Seite, von der sie es sicher nicht vermuten durfte: Selbst die Wirtschaft hält das geplante Stipendienmodell für unsozial.

Die schwarz-gelbe Regierung hatte angekündigt, ab Oktober dieses Jahres ein nationales Stipendienprogramm aufzulegen, das „leistungsbezogen“ und unabhängig vom Einkommen der Eltern ausgerichtet sein soll. Damit ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass vor allem jene von der Zuwendung des Staates profitieren, die es gar nicht nötig haben. Denn mit dem Stipendienprogramm sollen rund 10 Prozent der Studierenden unabhängig von ihrem tatsächlichen Bedarf mit pauschal 300 Euro monatlich gefördert werden.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sieht auch nach der Wortmeldung des Stifterverbands keinen Handlungsbedarf, auch soziale Komponenten in dem geplanten Stipendienprogramm zu berücksichtigen. Ein Ministeriumsprecher sagte der taz: „Die soziale Öffnung der Hochschulen ist wünschenswert. Die Universitäten werden aber in eigener Regie die Auswahlkriterien der StipendiatInnen bestimmen. Wir sehen hier keinen Bedarf, ihnen seitens des Staates dabei hineinzureden.“

Das ist mutig. Erst am Dienstag hatte Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) im Deutschen Bundestag behauptet: „Das Thema Bildungsgerechtigkeit wird im Vordergrund der Arbeit der Regierungskoalition stehen. Kein Kind darf verloren gehen. Bildung ist ein Bürgerrecht und wir wissen, dass wir dabei noch nicht gut genug sind.“

Damit hat sie recht. Im internationalen Vergleich gehört das deutsche Bildungssystem zu den sozial selektivsten. Das zeigen auch die Zahlen: Laut der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks kommen von 100 Kindern aus Nichtakademikerhaushalten gerade einmal 23 an der Hochschule an. Von 100 Kindern aus Akademikerhaushalten landen hingegen 83 Kinder an der Hochschule.

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