american pie
: Tragik eines Trainers

Sein Team gilt als Super-Bowl-Favorit, doch nun muss der Coach der Indianapolis Colts seinen Sohn beerdigen

Nur wenige Tage dauerte es, da war aus einer traumhaften Saison ein persönlicher Alptraum geworden. Vor anderthalb Wochen noch war Tony Dungy der Cheftrainer eines Teams auf dem besten Weg zur Unsterblichkeit. Heute beerdigt er seinen Sohn.

Als die Indianapolis Colts ihre erste Saisonniederlage einfuhren und sich damit verbauten, als erst zweites Team in der Geschichte der NFL eine Spielzeit ungeschlagen zu beenden, schien Coach Dungy noch erleichtert. Endlich konnten sich seine Spieler wieder auf den Gewinn der Super Bowl konzentrieren. Doch dann wurde am vergangenen Donnerstag in seiner Wohnung in einem Vorort von Tampa Bay ein gewisser James Dungy tot aufgefunden. Der 18-Jährige hatte sich offensichtlich umgebracht. Sein Vater verabschiedete sich umgehend von seinem Team und übergab die Geschäfte seinem Assistenztrainer Jim Caldwell. Ob Dungy zurückkehren wird, um die Colts rechtzeitig vor den Play-offs wieder zu übernehmen, oder ob der 50-Jährige den größten Erfolg seiner Trainerlaufbahn sausen lässt, darüber wird spekuliert. Möglich scheint auch, dass Dungy das aufreibende Trainerdasein ganz an den Nagel hängt.

Denn im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen schien Dungy nie besessen vom Football. In einer Liga, in der die Bücher mit Spielzügen doppelt so dick und mindestens so wichtig sind wie die Bibel und in der erwartet wird, dass die Cheftrainer im Büro übernachten, galt Dungy als Ausnahmeerscheinung: Der tiefreligiöse Coach gab nach Siegen seinem Team einen Tag frei, fuhr seine kleineren Kinder mitunter selbst zur Schule, und meistens schaffte er es sogar rechtzeitig zum Abendessen nach Hause. Trotzdem gingen seine Mannschaften stets gut vorbereitet in ihre Partien, wenn ihm auch bis jetzt der größte Erfolg, ein Super-Bowl-Triumph, versagt blieb.

So wird Dungy womöglich seine Karriere als tragische Figur beenden. Ausgerechnet er, der bei Spielern und Kollegen als moralische Instanz galt, die man in allen Lebenslagen um Rat fragen konnte, wird nun ratlos sein. Seine Mannschaft scheint noch von der Abwesenheit ihres Chefcoaches unbeeindruckt. Vor dem letzten Spieltag am kommenden Wochenende stehen die meisten der Play-off-Teilnehmer bereits fest, aber die Colts bleiben der große Favorit – auch nach ihrer zweiten Niederlage in Serie. Nach 13 Auftaktsiegen ließ man es zuletzt ruhiger angehen. So setzte es am vergangenen Samstag bei den Seattle Seahawks, dem Team mit der zweitbesten Bilanz der Liga, zwar eine 13:28-Niederlage, aber Indianapolis schonte die besten Spieler. In den beiden einzigen Angriffsserien, in denen die Stammformation auf dem Feld stand, marschierten die Colts so problemlos übers Feld, dass vor allem den Seahawks Angst und Bange werden sollte. Vielleicht kann Tony Dungy sich heute, bei der Beerdigung in Tampa, damit trösten, dass zumindest der sportliche Teil seines Lebens den gewohnten Gang geht.

THOMAS WINKLER