unterm strich
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„Ich spiele freie Musik, weil mich das mit mehr Spielen pro Kubikzentimeter versorgt als jede andere Musik“, sagte der Gitarrist Derek Bailey einmal im Interview. Und man braucht tatsächlich eine Weile, um sich an den Freiheitsgrad seiner Musik zu gewöhnen. Selten gibt es da so etwas wie Rhythmus, Melodie oder Harmonik im klassischen Sinne. Oft kommt sie einem beim ersten Hören wie zufallsgeneriert vor, nicht vorhersehbar.

Derek Bailey war einer der Gründerväter der europäischen Free Music. Geboren 1930 in Sheffield, hatte er sich in den Fünfzigern und Sechzigern zunächst sein Geld als R&B-Musiker in britischen Tanzschuppen und in diversen Bands verdient, bis er sich einer gerade entstehenden Szene zuwandte, aus der die europäische Free Music hervorging, die erste eigenständig europäische Jazz-Auslegung. 1970 gründete er mit dem Saxofonisten Evan Parker und dem Schlagzeuger Tony Oxley das erste musikerbetriebene Plattenlabel Großbritanniens, Incus. Mitte der Siebziger startete er Company, eine lose Gruppe, die sich der freien Improvisation widmete und in der so gut wie jeder Musiker der Free-Music-Szene irgendwann einmal mitspielte. 1980 schließlich veröffentlichte er sein Buch „Improvisation – Kunst ohne Werk“.

Manchmal beneide er andere Musiker um die Selbstverständlichkeit, mit der sie Vorbilder benennen können, sagte Bailey in einem Interview – er könne das nicht. Ihm sei es immer um Musik gegangen, die sich „weigert, Sprache zu werden“, die kurz vorm Code-Werden immer einen Haken schlägt.

Am 25. Dezember ist Bailey in Barcelona gestorben, wo er eine ALS-ähnliche Motoneuronerkrankung behandeln ließ – „Carpal Tunnel Syndrome“ (Sehnenscheidenentzündung) hatte er passend eine seiner letzten Platten betitelt. Er wurde 75 Jahre alt. RAPP