Big in Sweden reicht einfach nicht

NORDEN Die zweite Welle skandinavischer Musiker, die nach Berlin kommt, hat einen spezifischen Sound. Er ist kühl, elektronisch – und kommt oft von Frauen. Zum Beispiel: Sandra Kolstad

VON JENS UTHOFF

Man muss dieses Skandinavien schon aus gute Gründen verlassen. Schließlich haben sie doch alles – blühende Landschaften, Sozialsysteme, Frauenpower, sogar Bildung. Und dann geht man freiwillig in die Desastermetropole Berlin? Aber ja doch. Etwa, weil sich eine sehr lebendige skandinavische Szene in der Stadt formiert hat.

Sandra Kolstad kam 2009 durch einen Zufall nach Berlin. Jemand fragte sie, ob sie jemanden kenne, der eine Wohnung in Berlin suche. Woraufhin sie spontan „Ich!“ erwiderte. Aus einem Antwort-Reflex wurde Lebensplanung, heute sagt sie: „Ich kann mir schwer vorstellen, diese Stadt noch mal zu verlassen.“

Die norwegische Musikerin Kolstad, die gerade auch in Deutschland ihr Album „(Nothing lasts) Forever“ veröffentlicht hat, gehört einer zweiten Welle von skandinavischen MusikerInnen an, die sich an der Spree niedergelassen haben. Ihr von Björk und von zeitgenössischer elektronischer Musik inspirierter Sound ist ein gutes Beispiel für die aktuellen nordischen Acts, die zuletzt nach Berlin kamen.

Es sind spezifische Klänge, die sie mitbringen und hier weiterentwickeln. Der Sound ist nicht mehr – wie etwa beim norwegischen Wahlberliner Erlend Oye – relaxt und leicht. Nein, mittlerweile ist er oft kühl, düster, geheimnisvoll, elektronisch – und weiblich. Bisweilen kommt ein ordentlicher 80er-Wave-Einschlag hinzu.

Kolstads Album etwa strahlt eine beklemmende, manchmal fast finstere Atmosphäre aus – bei allen Beats und aller Tanzbarkeit ist es vor allem das Jonglieren mit den Stimmlagen, das einen immer zu warnen scheint: Vorsicht, du könntest dich auch in einen David-Lynch-Film verirrt haben. Oder auch in von Triers „Melancholia“.

Neben Kolstad, die in ihrer Heimat Norwegen bereits als nächste große Popkünstlerin gefeiert wird, könnte man noch die finnischen Schwestern Emma und Mia alias „LCMDF“ nennen, die für eine solche Musik stehen. Oder auch die dänische Wahlberlinerin Anna Roxenholt, die in diesen Tagen mit „New Found Land“ neue Aufnahmen veröffentlicht. Auch Sofia Härdig, deren Album „The norm of the locked room“ kürzlich erschien, ist eine hier gestrandete Schwedin – sie steht aber eher als die anderen in einer Rock-Tradition.

„Es ist gefährlich, ein so großes Wort wie ‚Freiheit‘ zu benutzen“, sagt Sandra Kolstad, „aber ich glaube, gerade viele Künstler spüren in Berlin eine große persönliche und professionelle Freiheit.“ Natürlich sei es auch ein Grund, dass Berlin – trotz aller Aufwertungsprozesse – im Vergleich zu den Musikstädten London und New York noch immer vergleichbar günstig ist. Das Gerede von der Kreativhauptstadt wird also zwar nicht weniger nervig, aber auch nicht weniger wahr.

Dabei ist über die nächste Generation skandinavischer MusikerInnen bislang vergleichsweise wenig gesprochen worden – was sich laut Kolstad ändert: „Es gibt gerade wieder ein sehr großes Interesse an skandinavischer Musik“, erklärt sie. „Außerdem scheint es mir, dass die feministische Tradition in Skandinavien sich langsam auch auf die Musikszene überträgt.“

Björk, so Kolstad, sei dabei durchaus ein wichtiger Einfluss gewesen. Ihren experimentellen, bisweilen geheimnisvollen Sound führt sie etwa auf den Input durch die Isländerin zurück. Wobei Kolstads Einflüsse recht vielfältig sind: Ausgebildet ist sie klassisch an der Osloer Universität, ihr Vater war als Plattenladeninhaber Prog- und Krautrockfan, sie selbst entwickelte eine Affinität zur Elektromusik.

Wichtige Partnerinnen für Kolstad, auch wichtige Figuren in der Berliner Szene sind Nina Legnehed aus Göteborg und die Berlinerin Steffi von Kannemann. Sie betreiben gemeinsam „Nordic by Nature“ (NBN), eine Musikagentur für skandinavischen Sound in Berlin.

Legnehed und von Kannemann promoten Künstler und haben eine monatliche Radiosendung auf blm.fm. Sie organisieren unter anderem die „Scandinavian Wave Nights“, bei denen sie meist selbst auflegen. Und sie sind an der Organisation vieler Konzerte skandinavischer Bands beteiligt. „Es hat sich ein gutes Netzwerk entwickelt“, sagt Legnehed. Die Botschaften der Länder, als „Nordic Embassies“ in Berlin unter einem Dach, unterstützen NBN bei einigen ihrer zahlreichen Projekte.

Legnehed, die seit drei Jahren in Neukölln wohnt, erklärt sich die Umtriebigkeit der skandinavischen Musik so: Den Künstlern reiche es oft nicht, in ihren Heimatländern berühmt zu sein, schon rein ökonomisch. „Die Länder sind einfach zu klein“, sagt sie. „Es genügt nicht, big in Sweden zu sein.“ Es ist für diese Bands wichtiger als für andere, sich in größeren Ländern und Städten niederzulassen – oder sich wenigstens im Ausland promoten zu lassen.

Andererseits betont Legnehed, dass der aktuelle Pop aus ihrer Heimat sehr divers sei.

Da gibt es einerseits größere Namen wie Efterklang oder Echo Me, die eher in die Indie-/Folk-Ecke passen, andererseits den Underground, etwa den elektronischen „Skweee“, einen spielerischen, frickligen Elektrosound, für den etwa der finnische Künstler Tatu Metsätähti alias Mesak steht.

■  Sandra Kolstad: „(Nothing lasts) Forever“ (Trust Me/Phonofile), live: 19. 4. FluxBau

■  Nordic by Nature: nbnberlin.de

■  Tatu/Mesak: harmoenia.fi