: Kultlos glücklich
KANSAS Eine schrecklich nette Kuh-Familie. Auf ihrer Ranch leben die Moores als wahre Cowboys
■ Das Land beobachten: Cowboys müssen das Weideland regelmäßig inspizieren. Haben die Rinder noch genügend Gras zum fressen? Bevor der Boden Schaden nimmt, muss das Vieh auf eine andere Weide getrieben werden.
■ Der Cattle Drive oder Viehtrieb: Eine ureigene Aufgabe des Cowboys. Mit ihren Pferden postieren sich die Cowboys rund um die Herde und weisen damit die Richtung. Je nach Entfernung kann der Treck mehrere Tage dauern.
■ Der Gesundheitscheck: Regelmäßig reiten Cowboys zu ihren Herden und sehen nach dem Rechten. Sind die Wasserlöcher noch voll genug? Ist das Vieh gesund?
■ Das Branding: Um die Tiere voneinander zu unterscheiden und den Besitzer zu identifizieren, werden die Kälber „gebrandet“. Zur selben Zeit steht oft die Grundimpfung an.
■ Die Büroarbeit: Der Cowboy ist auch ein Businessmann, der den Sattel oft gegen den Bürostuhl tauschen muss. Er beobachtet den Markt und lotet die Verkaufsbedingungen für die Rinder aus.
■ Kosten, Termine, Anreise: Ein Tag auf der Moore Ranch kostet 145 US-Dollar. Im Preis enthalten sind Unterkunft und drei Mahlzeiten sowie Reitunterricht. Es wird täglich ausgeritten. Der nächste Viehtrieb ist vom 7. bis 9. April (Teilnahme: 675 Dollar) geplant www.moorelonghornranch.com
■ Reisepakete mit Flügen und Mietwagen schnürt der USA-Spezialist www.america-unlimited.de. Flüge mit United gehen ab Frankfurt am Main über Chicago nach Wichita. Continental fliegt ab Berlin über Newark und Houston. Ab München fliegt KLM über Amsterdam und Minneapolis bzw. Memphis.
VON STEFAN ROBERT WEISSENBORN
Es gibt keinen Schlüssel. Innen steckt er nicht, auch außen nicht. Die einfachen Holzhütten, die die Unterkunft darstellen, können nicht abgeschlossen werden. Gibt es denn weit und breit keine Langfinger, die angesichts der Technik-Entourage aus Laptops, Kameras und Telefonen nervös zucken? „Nicht nötig“, sagt Rancherin Nancy Moore. Wir hätten es ahnen müssen. Schon das Navi unseres Mietwagens, dem wir die letzten 20 Meilen eine trockene Schotterpiste antun mussten, hatte die karierte Zielflagge auf dem Display in ein weißes Nichts gepflanzt. Das letzte Verkehrsschild warnte: „Dead End“. Wir sind „in the middle of nowhere“ angekommen. Keine Straßen, keine Menschen, kein Fernseher, kein Handyempfang. Aber es wurde ein Versprechen gegeben: Auf der Working-Ranch der Moores erlebt ihr das wahre Leben der Cowboys.
Mit der Authentizität ist das so eine Sache. Wird sie bemüht, zerbröselt sie. Doch auf der Ranch scheinen manche Regeln und Konventionen außer Kraft. „Ich hasse die Stadt“, sagt Nancy (fast 80 Prozent der US-Bürger leben in Städten). Ginge es nach ihr, sie würde die Ranch für Monate nicht verlassen. Besuch ist für sie eine wirtschaftliche Notwendigkeit: „Ohne das Geld der Touristen könnte ich meinen Lebensstil nicht aufrechterhalten. Ich müsste einen Job in der Stadt antreten“, sagt sie.
Nancy ist ein Cowgirl. Keines, das sich für Touristen verkleidet, kokettiert und dem alten Mythos der Verklärung des Wilden Westens Nahrung gibt. Mit ihrem Mann Joe züchtet die spröde Frau in der weiten Prärie der Great Plains Texas-Longhorn-Rinder. Glückliche, wie sie betonen. Achtzig Prozent des in den USA produzierten Fleischs werde in Form von Hamburgern verspeist, und das stamme von unglücklichen Tieren, sagt Joe. Die Rancher züchten auch Reitpferde. Sie besitzen etliche Hühner, ein paar Ziegen, drei Hunde und eine furchtlose Milchkuh, die auch fremde Hände an ihre Euter lässt. Für den Eigenbedarf bauen sie Mais, Tomaten, Auberginen, Salat und Gurken an.
Kein Gehabe, kein Kult
Die Moores veranstalten kein Viehhirten-Schauspiel, wie es Gäste auf sogenannten „Dude Ranches vorgespielt bekommen, die eigens für Touristen hochgezogen werden. Gehabe und Kult sind ihnen fern, die ehrliche Arbeit nicht. Sie verzichten auf Smalltalk-Overkill, suchen keinen Blickkontakt zur Kameralinse. Und doch sind sie jedes Foto wert in ihren Klüften, mit denen sie bereits den Betten zu entsteigen scheinen: Joe begegnet man – sei es noch so früh – in Wrangler-Jeans, perlmuttgeknöpftem Hemd und besporten Stiefeln. Auch Nancy scheint mit ihrem Outfit verwachsen – taschenlose Bundfalten-Jeans, Jeanshemd. Stetsons tragen sie beide, sobald es an die Frischluft geht, die in Kansas drückend sein kann. Bei der Arbeit trägt Joe Chaps, die ledernen Beinkleider der Cowboys. Der 13-jährige Sohn Laramie tut es ihm gleich.
Aus der Nähe ein Milchgesicht, ist Laramie auf dem Pferd ein ganzer Cowboy. „Wenn es ans Reiten geht, ist Laramie ein Naturtalent“, sagt Joe über seinen Sohn, den Nancy zu Hause unterrichtet. „Auch wenn Bucklin und Protection kleine Orte sind, es gibt dort viele Drogen. Außerdem lernt er bei Nancy wesentlich mehr als in der Schule“, rechtfertigt Joe die eigenbrötlerische Erziehung. Bevor auch die Gäste umständlich in den Sattel gelangen, reitet der Pimpf im Galopp zur nächsten Kuppe, um die Lage zu sondieren. Heute soll die in der Nähe grasende Herde der Langhörner ins Gatter getrieben werden, um sie für den Cattle Drive zu sortieren: Manche Kälber und Muttertiere sollen von dem kräfteraubenden Viehtrieb verschont bleiben, der in der nächsten Woche ansteht.
Der Cattle Drive, dieser Viehtrieb, ist die ureigenste Arbeit der Cowboys, an der die Moores regelmäßig Touristen teilhaben lassen. Wenn das Vieh über Meilen von einer abgegrasten Weide auf eine frische getrieben wird, dauert dies oft Tage. Geschlafen wird in Tipis wie zu Zeiten der großen Cattle Drives in den 1860er- bis 1880er-Jahren. Damals wurden riesige Herden, die sich während des Sezessionskrieges stark vergrößert hatten, von Texas gen Norden entlang des Chisholm Trail zu den Verladebahnhöfen in Kansas getrieben, um die Nachfrage an Beef in anderen Teilen Nordamerikas zu befriedigen. Damals florierte das nahe Dodge City als Hauptumschlagplatz. Heute ist die Innenstadt verwaist. Nur eine künstlich am Leben gehaltene „historische“ Straßenzeile, ein Nachbau der alten Front Street, pulsiert. Sie erinnert an die Zeit der Revolverhelden, als Wyatt Earp und Doc Holliday ihr Unwesen trieben. Die Fleischproduktion ist noch immer einer der wichtigsten Wirtschaftszweige.
Als rollende Anleihe an die alten Zeiten führen die Moores beim Cattle Drive einen Chuckwagon für Gerät, Zelte und Verpflegung mit. Es ist eines der wenigen Zugeständnisse an verklärte Touristen, denn normalerweise benutzen die Moores ihren Pick-up. „Was immer wir machen, für den Gast ist es eine echte Cowboy-Erfahrung“, sagt Joe. So gehen er und Nancy schlicht ihrem Tagewerk nach und sind dennoch die Animateure. Im Sattel umzingeln sie gemeinsam mit ihrem Sohn und einem Freund die Rinderherde. Sie lassen eine Lücke, die die Richtung weist. So dirigiert, bewegen sich die Wiederkäuer langsam in die angepeilte Richtung.
In der Abenddämmerung kehrt Ruhe ein auf der Moore Ranch. In der Ferne ploppt der Motor einer Ölpumpe. Ab und an schnaubt ein Pferd im Stall. Im einstöckigen Ranchhouse senken die Moores die Köpfe: „Got bread, got meat, good God let’s eat.“ Das sei die Cowboy-Version eines Tischgebetes, erklärt Joe und lacht laut auf. Die Gäste sitzen am Esstisch der Familie. Nancy hat „Sloppy Joe“ zubereitet, eine Art Bolognesesauce, die auf weichen Hamburger-Brötchen gegessen wird.
Nach dem Supper treten wir ins Freie. Die Glühwürmchen haben bereits ihren abendlichen Tanz begonnen. Nahe dem kleinen Fluss, der sich durch das Moore-Land schlängelt, flirren die leuchtenden Punkte zu tausenden umher. Verirrt sich einer der illuminierten Käfer in höhere Gefilde, hält man ihn für eine Sternschnuppe. Doch bevor der Schwindel auffliegt, stellt man fest: Man ist wunschlos glücklich in diesem Cowboy-Universum. Es ziehen Wolken auf. Doch der Himmel ist klar. Es sind Sternenwolken.