JÜRGEN VOGT ÜBER VENEZUELA NACH DER WAHL
: Die feinen Unterschiede

Venezuela ist gespalten. Während die eine Hälfte ihren neuen Präsidenten Nicolás Maduro feiert, erklärt die andere Hälfte Henrique Capriles zum wahren Präsidenten, dem nur durch Betrug der Wahlsieg genommen wurde. Während die eine Seite auf die 272.865 Stimmen Mehrheit pocht, verlangt die andere gerade die Überprüfung dieser Differenz. Und was für die einen Klassenkampf bedeutet, ist für die andere kommunistische Diktatur.

Sozialistenchef Maduro hat sich bereits unmissverständlich geäußert: „Mehrheit ist Mehrheit, und Mehrheit regiert“, so der frisch vom Wahlrat ernannte Präsident und Nachfolger des verstorbenen Hugo Chávez. Maduro hat damit klargemacht, dass ein Dialog mit der Opposition nicht auf seiner politischen Agenda steht. Dabei ist es gerade sein knapper Sieg, der ihn dazu zwingt, die eigenen Reihen zu schließen, und der ihn gleichzeitig daran hindert, aus einer Position der Stärke auf den politischen Gegner zuzugehen.

Aber auch Oppositionsführer Capriles hat sich auf Konfrontationskurs festgelegt. Die bedingungslose Anerkennung seiner Niederlage gegen Hugo Chávez im vergangenen Oktober hatte ihm zum Teil wütende Kritik aus seinen eigenen Reihen eingebracht. Schon aus politischem Kalkül muss er das Ergebnis anfechten, will er seinen Führungsanspruch in der Opposition aufrechterhalten.

Eine Annäherung ist damit vorerst ausgeschlossen. Eine von beiden Seiten anerkannte Vermittlungsinstanz gibt es nicht. Parlament, Militär und Justiz liegen auf Regierungskurs.

Was bleibt, ist die Straße. Und das ist in Venezuela ein gefährliches Pflaster. Die Gefahr, dass friedlicher Protest in extreme Gewalt umschlägt – das haben gerade die jüngsten Ausschreitungen in Caracas eindrücklich gezeigt –, ist hoch.

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