Gut gedacht, schlecht gemacht

VORBILD MIT MACKEN Der Emissionshandel der Europäischen Union ist ein Erfolg, ein Exportschlager – und steht gleichzeitig für Ineffizienz und Lobbyismus

Das System hat seine Feinde bei Firmen und Umweltgruppen – seine Fans aber auch

BERLIN taz | Der EU-Emissionshandel (ETS) ist alles gleichzeitig: erfolgreich und ineffizient; beliebt und heiß umstritten; eine Belastung für die Wirtschaft und ein Goldesel für manche Industrien; wichtigstes EU-Klimaschutzinstrument und Zeugnis schweren Politikversagens.

Er garantiert, dass Europa seine Klimaziele erreicht, und gilt als internationales Vorbild – und verhindert zumindest bisher, dass die EU mit Klimaschutz und „grünem Wachstum“ Ernst macht.

Die Idee ist relativ simpel: Wer die Atmosphäre mit Treibhausgasen (vor allem CO2) belastet, soll dafür zahlen. Industriebetriebe müssen ihre Emissionen angeben und für jede Tonne Zertifikate vorweisen. Wer CO2 einspart, kann seine Zertifikate an andere Firmen verkaufen.

Dabei werden nur so viel Lizenzen ausgegeben, wie nötig sind, um das EU-Klimaziel – minus 20 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 – zu erreichen. Die Obergrenze aller Zertifikate wird festgelegt und seit 2013 jedes Jahr um 1,74 Prozent abgesenkt.

Diese Idee des „cap and trade“ (entwickelt in den achtziger Jahren in den USA zur Bekämpfung von Schwefelemissionen) wollte Ökonomie und Ökologie versöhnen: Einerseits wurde endlich ein Preis für die Verschmutzung der Atmosphäre und eine Obergrenze („cap“) für Emissionen festgelegt. Andererseits sollte der Mechanismus flexibel sein und Geld effizient dort einsetzen, wo es am meisten Umweltschutz pro Euro gibt („trade“).

Das funktioniert auch grundsätzlich, betonen EU und Mitgliedstaaten. Allerdings sind im System schwere Fehler angelegt. So wird vom Emissionshandel nur etwa die Hälfte der europäischen Treibhausgasemissionen abgedeckt: In 27 Staaten müssen insgesamt 11.000 Unternehmen wie Stromkonzerne, Stahlwerke, Chemieindustrie, Maschinenbauer und der Flugverkehr in der EU teilnehmen. Die andere Hälfte der Emissionen, die aus privaten Haushalten, dem sonstigen Verkehr oder der Landwirtschaft stammt, sind nicht betroffen. Dann wurden die Zertifikate bisher zum großen Teil umsonst vergeben – und so großzügig, dass der erhoffte Druck auf Firmen zur Umrüstung auf neue Technologien nur gering ist.

Manche Firmen haben mit den Lizenzen viel Geld verdient: Eine Studie im Auftrag des BUND etwa rechnet vor, dass allein die zehn größten Profiteure wie ArcelorMittal, Rogesa, BASF oder ThyssenKrupp so insgesamt 1,2 Milliarden Euro zusätzlichen Gewinn einfahren. Außerdem erlaubt der Emissionshandel, bis zur Hälfte der Emissionenminderungen durch Klimaschutzprojekte in Schwellenländern („CDM“) zu erbringen. Doch ob diese Hilfen für indische Kohlekraftwerke oder Solarkocher dem Klima unter dem Strich wirklich nutzen, ist selbst in der UN heftig umstritten.

Schließlich sind in der Wirtschaftskrise und dem Rückgang von Produktion und Energieverbrauch in der EU die Preise für die Zertifikate gefallen. Gestern waren es gerade mal 2 Euro pro Tonne CO2. Damit das System funktioniert, rechnen Experten jedoch mit Preisen um 30 Euro.

Eine Koalition von internationalen Umweltgruppen fordert daher unter dem Slogan „Scrap the EU-ETS“, den EU-Emissionshandel abzuschaffen. Der Emissionshandel habe „keine Emissionen verhindert“, er sei zu einer „Subventionsmaschine für die Verschmutzer“ geworden, belaste die armen Länder durch die CDM-Projekte, lade zu Korruption und Betrug ein.

Vor allem, heißt es in einer Erklärung, garantiere der ETS das Energiesystem auf Basis der fossilen Brennstoffe und „schließe die Tür für wirklich effektive Klimapolitik“.

Umstritten ist auch, ob der Emissionshandel den deutschen Zubau an erneuerbaren Energien entwerte, weil das hier eingesparte CO2 woanders in der EU emittiert werden kann, wie es das ifo-Institut kritisiert – oder ob das System vor allem an Konstruktionsfehlern krankt und der Zubau der Erneuerbaren kaum ins Gewicht fällt, wie das Öko-Institut schreibt.

Andererseits ist der Emissionshandel ein europäischer Exportschlager: In Australien entsteht ein ähnliches System, das sich in den nächsten Jahren mit dem der EU verbinden soll. Mit der Schweiz und Südkorea laufen Verhandlungen, und dieses Jahr beginnen sieben chinesische Provinzen mit einem internen Emissionshandel-Probelauf. In den USA gibt es bereits seit 2003 bzw. 2007 zwei Gruppen von Bundesstaaten, die an der Ost- bzw. Westküste untereinander freiwillig ihre Emissionen handeln. Seit Januar ist auch Kalifornien dabei – immerhin die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt.

BERNHARD PÖTTER