Aus Bundeswehrskandal wird Skandälchen

Das Landgericht Münster will nur der Hälfte der angeklagten Coesfelder Bundeswehrausbilder den Prozess machen

BERLIN taz ■ Es war der Skandal der Bundeswehr 2004 und 2005: Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelte gegen 38 Bundeswehrangehörige der Ausbildungskompanie der „Freiherr vom Stein Kaserne“ im westfälischen Coesfeld. 163 Rekruten sollen bei vier simulierten Geiselnahmeübungen in der Grundausbildung zwischen Juni und September 2004 mit Stromstößen und Fußtritten malträtiert und gedemütigt worden sein.

Im Sommer 2005 wurde Anklage erhoben gegen den Kompaniechef und 17 seiner Unteroffiziere, das Verfahren gegen 20 Angeschuldigte wurde abgetrennt, weil ihre Schuld vermutlich weniger gravierend sei. Gestern teilte das Landgericht Münster mit, dass es die Eröffnung des Hauptverfahrens bei der Hälfte der Angeschuldigten ablehnt. Der dafür notwendige hinreichende Tatverdacht könne nicht festgestellt werden.

So hält die 8. Strafkammer eine Verurteilung des Kompaniechefs für nicht wahrscheinlich. Er hatte erklärt, dass er sich von zwei Zugführern zu einer Geiselhaft als Ausbildungshöhepunkt habe „breitschlagen“ lassen und sich auf deren Auslandserfahrung verlassen habe. Nach Ansicht des Gerichts haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass davon die Rede gewesen sei, Rekruten zu misshandeln oder entwürdigend zu behandeln. Es bestehe auch kein hinreichender Verdacht, dass der Kompaniechef schikanöses Verhalten mitbekommen habe und dass die Beteiligten die später begangenen „Exzesshandlungen“ abgesprochen hätten.

Bei neun weiteren Soldaten wurde die Anklage nur wegen einzelner Taten zugelassen. Ihnen wird entwürdigende Behandlung, Misshandlung Untergebener und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen: Einem Rekruten soll eine Stiefelspitze unter den Hoden geschoben, einem anderen mit einem Fernsprecher ein Stromschlag versetzt worden sein. Einem Rekruten soll sein Knie verdreht worden sein, um ihn fesseln zu können. Bei der Fesselung eines Rekruten sollen Kabelbinder so stramm gezogen worden sein, dass dieser eine blutende Schürfwunde erlitt. Die Misshandlungen kamen im November 2004 eher beiläufig durch Aussagen unbeteiligter Soldaten der Kompanie an die Öffentlichkeit.

In ihrem Beschluss stellt die Kammer fest, dass die Planung einer Übung, bei der Rekruten gefangen genommen, gefesselt, mit einem Lkw transportiert und mit einer Kübelspritze nassgespritzt werden, nicht strafbar sei. Die Befragung einzelner Rekruten habe zwar zum Teil „eindeutig eine entwürdigende Behandlung Untergebener“ dargestellt. Ob aber gegen Befehle der Bundeswehrführung verstoßen wurde, darüber entschied die Kammer nicht. Es gehe ausschließlich um die Frage, ob Straftaten begangen wurden. Alle Beteiligten hätten gewusst, dass es sich um Inszenierungen handelte, die jeder Rekrut durch Nennung eines Losungswortes habe beenden können. Die Staatsanwaltschaft kündigte Beschwerde gegen den Beschluss an. Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer: „Nach unserer Auffassung ist klar gegen die Menschenwürde der Soldaten verstoßen worden.“BARBARA BOLLWAHN