Unfall, Krebs und Pubertät

TRAGIKOMÖDIE In „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ erzählt André Erkau von einem trauernden Witwer, seiner todkranken Mutter und der rebellischen Tochter

Erkau zeigt mit seiner eigenen Mischung aus Melancholie und Witz, wie Außenseiter sich in alltäglichen Situationen behaupten

VON WILFRIED HIPPEN

Das berühmte Zitat „Old age is not for sissies!“ von Bette Davis hat bei dem Titel wohl Pate gestanden und eine der Figuren erinnert sogar ein wenig an die Hollywoodschauspielerin, die für ihre sarkastischen Sprüche bekannt war und auf deren Grabstein „She did it the hard way“ steht. Christine Schorn hat als alte, an Krebs erkrankte Gerlinde ein paar von den besten Szenen des Films und mit ihrer stoischen Schlagfertigkeit lässt sie schnell vergessen, dass die Krankheit in den deutschen Kinos seit Andreas Dresens „Auf freier Strecke“ auffällig in Mode gekommen ist. Vor ein paar Wochen lief etwa bei einem Preview zu den dem belgischen Spielfilm „The Broken Circle“, in dem die kleine Tochter von Bluegrassmusikern an Leukämie stirbt, zuerst ein Trailer von „Heute bin ich blond“ und dann gleich zwei von „Das Leben ist nichts für Feiglinge“. Drei Chemotherapien nacheinander in Unterhaltungsfilmen waren da schon ein wenig kurios.

Aber hier ist die Krankheitsgeschichte der alten Dame nur einer von drei Haupterzählsträngen und Erkau erspart uns zudem drastische Bilder von ihrem Verfall. Inkontinenz ist da der Anlass für eine schon lange vorher geschickt angelegte Pointe und so endet eine düstere Sequenz mit einem dankbaren Lacher. Auch die zweite Tragödie des Films wird von Anfang an durch Komik entschärft. Die Mutter der Familie starb bei einem schrecklich/komischen Unfall: Beim Dekorieren eines Kindergartens mit Girlanden strangulierte sie sich selbst mit ihrer Halskette. Dies mindert nicht die Intensität der Verzweiflung ihres Mannes und ihrer Tochter, doch es gibt allen Szenen einen makaber, komödiantischen Unterton.

Der 40-jährige Markus Färber wird durch den Tod seiner Frau aus der Bahn geworfen. Seine 15-jährige Tochter Kim zieht sich in die rebellischen Attitüden eines Gruftis zurück, schickt Textnachrichten an ihre tote Mutter und sammelt Nachrichten über bizarre Todesfälle. Beide sind so traumatisiert, dass seine Mutter ihre Krebserkrankung vor ihnen zuerst geheim halten will und ihnen vorlügt, auf Reisen („nach Neuschwanstein und dann noch weiter ...“) zu gehen, während sie sich zusammen mit einer jungen Pflegerin in ihre Wohnung verkriecht.

Die drei Protagonisten finden sehr eigenwillige Wege, mit ihrer Trauer, dem Verlust und dem Tod umzugehen, und der Film ist immer dann am stärksten, wenn er Situationen zeigt, in denen sie sich gegen andere durchsetzten müssen, die gedankenlos oder hilflos auf ihre Probleme reagieren. So etwa bei einer bizarren Szene in einem Reisebüro, bei der Markus Färber zuerst daran scheitert, eine Reise seiner verstorbenen Frau stornieren zu lassen, weil solch ein Fall in den Geschäftsbedingungen nicht vorgesehen ist. André Erkau und der Autor Gernot Gricksch, der hier seinen eigenen Roman adaptierte, haben ein gutes Gespür dafür, was man aus solchen Situationen machen kann, und wenig später gibt es eine schöne Auflösung, durch die zwei Obdachlose zu einem kostenlosen Urlaub in Mallorca kommen und die zickige Reisefachfrau völlig aus der Fassung gebracht wird.

André Erkau ist in Bremen aufgewachsen und hat 2008 mit seinem Filmdebüt. „Selbstgespräche“ den Max Ophüls Preis gewonnen. Auch in dieser Geschichte, die in einem Callcenter spielt, hat er schon mit einer ganz eigenen Mischung aus Melancholie und Witz beschrieben, wie Außenseiter sich in alltäglichen Situationen behaupten. In „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ hat er seinen Stil noch souveräner umgesetzt, seine Charaktere sind komplex, widersprüchlich und liebenswert. Auch Nebenfiguren wie die Pflegerin oder der neue, selbstzerstörerische Freund der Tochter kommen da zu ihrem Recht und sind alles andere als nur Funktionsträger oder Stichwortgeber, wie dies in herkömmlichen Komödien leider üblich ist. Und Erkau kann gut besetzten: Wotan Wilke Möhring (der neue Tatort-Kommissar) war vielleicht noch nie so gut wie hier und Helen Woik ist in der Rolle der Tochter Kim eine Entdeckung.