Besondere Stimmen

Eine Stimme hat ja eigentlich jeder. Aber es kommt eben darauf an, was man daraus macht. Vor allem, wenn man Sängerin ist wie Saint Lu, und nicht angetreten ist, die Popmusik zu revolutionieren. Nein, auch auf ihrem zweiten Album, das die Wahlberlinerin folgerichtig, aber wenig einfallsreich „2“ genannt hat, geht es vor allem darum, eine prägnante Stimme möglichst sinnfällig einzusetzen.

Eine solche besitzt Luise Gruber, die auf der Bühne zur heiligen Lu wird, ohne jeden Zweifel. Tatsächlich ist das Potenzial dieser Stimme so groß, dass manches Medium anlässlich ihres Debüts vor vier Jahren eine „Reinkarnation von Janis Joplin“ gehört haben wollte. Vielleicht könnte die aus Österreich stammende Gruber sogar so singen wie die legendäre Joplin. Aber die Kunst des Singens besteht darin, die eigene Stimme zu finden.

Egal, ob ihre Band einen mit flotten Bläsern garnierten Gebrauchs-Soul spielt oder Balladen, die den Blues als modische Melancholie missverstehen: Die Stimme von Saint Lu deutet zwar immer wieder an, dass sie sich bei Bedarf auch in gefährliche Höhen schrauben oder komplexe Koloraturen drechseln könnte. Aber ihre Größe besteht darin, dass sie es nur selten aufs Äußerste ankommen lassen muss. Diese Stimme hat’s nicht nötig, sie transportiert auch so jede Menge Gefühl. Diese Stimme funktioniert wie ein Formel-1-Wagen, der an einem Sonntagnachmittag eine Autobahn entlangschnurrt.

Ofrin dagegen fährt – um im Bild zu bleiben – auf lange nicht so befahrenen Waldwegen, die zwar nicht sonderlich gefährlich sind, aber doch die eine oder andere Überraschung bereithalten. Die gebürtige Israelin Ofri Bin, die seit 2005 in Berlin lebt, baut auf „The Bringer“ zwar grundsätzlich auf das Klangbild ihrer Jazzpop-Band, aber mit Hilfe ihres musikalischen Partners, dem Komponisten Oded K.dar, erweitert sie die gewohnten Harmonien um zusätzliche Dimensionen.

Mal erzeugt ein drängender elektronischer Beat eine beklemmende Atmosphäre, dann löst plötzlich ein hysterischer Kinderchor die Spannung. Ein Stück wabert quallenartig vor sich hin, ein anderes wird von einem synkopierten Rhythmus eindeutig strukturiert, ein drittes gefällt sich als denkbar eingängiger Electro-Pop. Diese verschiedenen Momente verziert Ofrin mit immer neuen Stimmen. Ob Soul-Diva, Electro-Sirene oder Jazz-Croonerin, Ofrin scheint alle Stimmen zu beherrschen, als seien sie ihre ureigenen.

THOMAS WINKLER

■ Saint Lu: „2“ (Warner), live am 20. 4., Privatclub

■ Ofrin: „The Bringer“ (Kreismusik/ Soulfood), live am 12. 5., Festsaal