schurians runde welten
: Meine Fußballpeepshow

„Wir befinden uns in der Sichtungsphase“ (Michael Meier, FC Köln)

Ich merkte sofort, dass sie sich diesmal etwas ganz besonderes für mich ausgedacht hatten. Etwas schweres, längliches: Gold? Das zweite Päckchen war leicht wie ein Elektrorasierer. Ich löste erst hier die Klebestreifen und wickelte einen Plastiksockel aus, in dem eine Spiegelscheibe mit Leuchtdioden lagerte. Steckte den Netzstecker in die Dose. Die Scheibe begann sich langsam zu drehen, die Dioden leuchteten dazu sanft in Rot-Grün-Blau. Natürlich sollte ich gleich das zweite Päckchen auspacken: Ein Glasbarren. Und so war das merkwürdigste Weihnachtsgeschenk meines Lebens komplett.

Zwar kann ich mich recht gut an schummrige Nachmittage erinnern, da wir Tischlampen mit roten Tüchern abdunkelten und lagenweise Coladosen tranken, um uns erstmals den Labellomündern der Klassenkameradinnen zu nähern. Es lief Deep Purple oder Uriah Heep auf diesen Kuschelpartys, was zeigen kann, wie erzlange es her ist. Damals hätte ich mich über diesen bunten Glasbaustein gefreut. Aber heute?

Also sagte ich „interessant“, als ich mir den Glasquader genauer ansah: In seinem Inneren sind viele Luftbläschen eingeschlossen, die zusammen eine dreidimensionale Szenerie abbilden. Als ich den Barren auf die rotierende Scheibe stellte, leuchteten im Diodenschein die Figuren auf. Und durch die wieder und wieder abknickende Blickachse wird tatsächlich so etwas wie Räumlichkeit simuliert.

Die gewiss aus dem asiatischen Wirtschaftsraum stammenden Kunststücke zeigen normalerweise Einhorn, Drache, Pegasus und andere Glücksbringer. Aber für mich wurde etwas Passenderes ausgesucht. Im Vordergrund erkannte ich den Torso eines Fußballspielers mit angewinkeltem Schussbein und Ball. Wie bei der perspektivisch noch unbeholfenen Landschaftsmalerei der Renaissance befindet sich im Hintergrund ein zu kleines Tor für einen riesigen Torsteher, der sich gerade nach einem Schuss zu Recken scheint. Links von ihm steht ein Nadelbaum hinter Jägerzaun, dazu fliegen zwei Paradiesvögel mit wehenden Schwanzfedern über diese sportive Träumerei aus dem Reich der Mitte.

Heute bereue ich meine Abneigung gegen diese schräge Weihnachtsgabe. Denn was kann es 160 Tage vor der Fußball-WM edleres geben, als ein Fußballding ohne Nutzwert, ohne Botschaft oder gar Fifa-Lizenz?

Das mehrere Kilogramm schwere, reichlich Strom verbrauchende, dröhnende, eigentlich gruselige Tischspielzeug stimmt mich seither auf die Weltmeisterschaft ein: Denn was ist zu sehen? Zwei Sportfiguren, die auf einer drehenden Scheibe stehen, damit sie von allen Seiten begafft werden können. Die Fußballpeepshow. Im Gegensatz zu Weltmeisterschaft, Profifußball komme ich aber günstig davon.