die kurzgeschichte
: Feiertagsblues

Eine Erzählung zwischen den Jahren, von Frank Schäfer. Teil 3: Totenköpfe oder Knüppel bricht die Zelte ab

Sie standen zu viert vor seinem Fenster, gerade noch außerhalb des Lichtkreises, der aus dem Zimmer in den Garten fiel. Und beobachteten ihn, wie er sich den Nacken rieb, die Litertüte billigen Roten gelegentlich an den Mund führte und wie flink seine beiden Hände immer noch auf dem Keyboard herumtänzelten.

Knüppel pfiff gellend laut, Matze fuhr erschrocken herum, und im selben Moment traten die vier ins Licht. Er schien zunächst wie paralysiert, hob dann endlich erkennend das Kinn und öffnete das Fenster. Friedrich versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal hier hereingeklettert waren, aber es fiel ihm nicht ein.

„Heut wird nich mehr gearbeitet, die Maurers gehm ein aus“, sagte Bernie. – „Wie war die Bowle?“ – „Zu fruchtig“, sagte Friedrich, „hast nichts verpaßt!“ – „Ich habe nicht viel Zeit.“ Matze zeigte auf den Bildschirm. „Aber wollt ihr kurz reinkommen?“ – „Nee, du kommst raus!“ sagte Knüppel. „Wir fahren zur Bushaltestelle ...“ – „Ach ... zur Bushaltestelle?“ Matze schien einen Moment zu überlegen, schüttelte dann aber doch den Kopf. „Nee, echt keine Zeit.“

Und nach dem ersten Taifun der Entrüstung, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, redeten vier durch den Wodka schon ziemlich eloquente Freunde in einer Dringlichkeit auf ihn ein, daß er schon ein ziemlich kaltherziger Munk hätte sein müssen, um bei seiner Meinung zu bleiben. Als er nach einer Weile Anstalten machte, das Fenster zu schließen, glaubten sie schon, er wolle sie abwimmeln.

„Arschlecken, ich ziehe mir nur noch schnell was an!“ Ein paar Minuten später stieg er hinten in Knüppels Wagen ein. Friedrich reichte ihm vom Beifahrersitz ein Feldschlößchen nach hinten. „Nicht mal Ur-Bock?“ Und alle lachten. Schließlich saßen sie mit ausgestreckten Beinen, das Bier im Schoß, in der alten Bushaltemuschel und knibbelten an den Papier-Etiketten herum, weil ihnen plötzlich nichts mehr einfiel. „Tjaaa“, begann Knüppel, „neulich habe ich Steffi mal wieder gesehen ...“ – „Und ... ist sie immer noch sauer wegen des kaputten Fensters?“ stichelte Matze. – „Das war ich nicht.“ Alle lachten, aber Knüppel ließ sich nicht beirren. „Sie hat zwei Kinder und sieht noch besser aus als damals. Ich hatte die bestimmt fünfzehn Jahre nicht gesehen, und dann steht die plötzlich beim Einkaufen vor dir und sieht dich mit einer Wehmut an, als ... Mann, und erzählt dir, daß sie auch bald wieder in Giffendorf wohnt ... Vielleicht echt besser, daß ich endlich hier rauskomme.“ – „Was ist los?“ Friedrich beugte sich vor und sah Knüppel an. Die anderen suchten in den kurzen Flaschenhälsen nach einer Antwort, die sie längst kannten. Friedrich bemerkte die allgemeine Betretenheit und schnaubte. „Weiß das hier schon jeder... außer mir?“ Bernie stöhnte. Es würde also wieder an ihm hängenbleiben. „Knüppel geht nach London ... Tanja soll dort ein Designbüro leiten ...“ – „Und für einen Musikjournalisten“, sprang Knüppel endlich ein, „ist London nun auch nicht gerade der schlechteste Ort, seine besten Jahre zu verbringen.“ – „Jahre?“ Friedrich schnappte über. – „Erstmal nur drei, aber Verlängerung ist natürlich möglich.“ – „Und warum erzählt mir das keiner, verdammt?“ Sie schwiegen. „Offiziell wußte ich auch nichts davon“, meinte Matze, „aber hier flüstern sich das die Bausparer schon eine Weile zu. Die wollen sich Knüppels Hütte unter den Nagel reißen ...“ Friedrich starrte ihn an und schüttelte dann resigniert den Kopf. „Du brichst hier alle Zelte ab, was?“ – „Quatsch, spätestens Weihnachten sind wir doch wieder im Lande ...“ – „Und wo wollt ihr dann hier wohnen?“ – „Bei meinen Eltern.“ – „Und wo machen wir unsere beschissene Wodkabowle?“ Friedrich war laut geworden, und sie starrten ihn an. „Jaja, schon gut ...“

Von der anderen Straßenseite sahen sechs junge Menschen zu ihnen herüber und drucksten herum. Sie hatten sich ganz offensichtlich auch hier verabredet. Matze regte an, ihnen das Feld zu überlassen, und Knüppel gab einen „zweiten Aufguß“ zu bedenken. „Dieses Mal“, er ließ seine Hand schwer auf Friedrichs Schulter fallen, „mit etwas weniger Frucht!“ Sie fuhren an der Kirche vorbei. Und Friedrich blickte lange auf die hohe, brüchige Backsteinmauer, die immer noch den Kirchhof vom Fußweg trennte. Nach dem Konfirmandenunterricht sitzen sie darauf und reden – nicht über Gott, aber über die Welt. Die einen lesen immer noch Winnetou, die anderen schon James Bond. Und dann wird irgendwann der Fußweg aufgerissen, um neue Telefonkabel zu legen oder Erdgas oder egal was, und am nächsten Morgen, als sie mit dem Schulbus vorbeifahren, grinsen darauf Totenköpfe in einer langen Reihe. Offenbar haben die Straßenarbeiter einen Teil des alten Friedhofs umgegraben – und viel Sinn für Humor. Nachmittags sind die Köpfe schon wieder weg, aber selbst die James-Bond-Leser haben sich danach nicht mehr auf die Mauer gesetzt.