Jukebox

Industrial wie Hieronymus Bosch im Stahlwerk

Wenn eine Band wie Throbbing Gristle aus dem Archiv zurück ins Leben tritt, kann das nicht so nebenbei geschehen. Das muss die große Oper sein. Mindestens Alpha und Omega. Ende und Anfang. Die Kundalini-Schlange frisst sich vom Schwanz-Ende her auf. Throbbing Gristle spielen Silvester und Neujahr zwei Konzerte in der Volksbühne.

Als Throbbing Gristle 1976 in die Welt kamen, machten sie eine Musik, die tatsächlich außerhalb jeder Reichweite lag. Den arglosen Punk musste sie genauso verschrecken wie den normalen Popkonsumenten. Auf ihren Platten hört man eine eine brodelnde, stampfende, körperlich exzessive Industrial-Hölle. Hieronymus Bosch gemalt mit den Mitteln eines Stahlwerks. „Zielgruppe von TG“, schrieb damals Diedrich Diederichsen, „bleibt das Nervensystem. Schönheit hat hier nur einen Sinn, wenn man den Schmerz kennt.“

Möglicherweise geht es um Freiheit. Freedom’s just another word for nothing left to loose, wussten auch die Industrial-Hippies. Aber wir kommen von uns ja gar nicht los. Es bleiben nur Tricks, Manipulationen, Beschwörungen. Beim Griff nach der Zukunft bleibt es beim Rückgriff aufs voraufklärerische Apothekenschränkchen. Man will die alten Geister um sich haben. Die dürfen auch böse sein. „There were many demons present. Some of us still have scars“, heißt es auf einer Live-Platte von Throbbing Gristle.

Die wirklich schweren Geschütze also. So eine Séance kann man natürlich gegen die „Dialektik der Aufklärung“ in Stellung bringen, in der das philosophische Songwriterduo Adorno/Horkheimer niederschrieb, dass selbst die Gräuel des Nationalsozialismus legitimes Kind der Aufklärung sind. Wenn schon das Wachen der Vernunft Ungeheuer gebiert, darf man doch auch mal den schamanistischen Weg gehen. Was mir wiederum mit Throbbing Gristle so ein ungutes Gefühl verschafft wie noch bei jeder Kunst mit verschärftem Körpereinsatz. Die Blutrituale der Wiener Aktionisten und all diese Schmerzensmänner. Märtyrer. Es ist, als wollten sie mir zuraunen: An meinem Wesen soll die Welt genesen.

Die kundalinische Schlange rülpst. Negation der Negation. Mit der Wiederkehr ein Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung heben sich Throbbing Gristle eigentlich selbst auf. Auch das ist Nostalgie. Die Konzerte in der Volksbühne sind ausverkauft. Bleibt die Ausstellung über die Band im KW in der Auguststraße. Eröffnung heute Abend, 20 Uhr. THOMAS MAUCH