Linksaußen im Sturm

Cristiano Lucarelli zeigt den kommunistischen Gruß, wenn er für den AS Livorno trifft. Der italienische Fußballverband sieht das nicht gern, seine Fans von den „Autonomen Brigaden“ dafür umso mehr

VON DAMIANO VALGOLIO

Auf seinem Unterarm hat er einen fünfzackigen Stern tätowieren lassen, mittenrein das Wappen des AS Livorno und seine Rückennummer. Man sieht das Tattoo, wenn Cristiano Lucarelli getroffen hat. Dann läuft der Torschützenkönig der italienischen Serie A vor die heimische Fankurve und hebt die geballte Faust – zum kommunistischen Gruß.

„Ich bin nicht nur Spieler, ich bin Fahnenträger“, sagt Kapitän Lucarelli. In Italien, wo die Regierungspartei Forza Italia nach einem Stadionschlachtruf benannt ist, ist Fußball immer auch Politik. Erst recht in Livorno. Die Hafenstadt ist das rote Herz der Toskana. Hier gründete Antonio Gramsci einst Italiens Kommunistische Partei. Hier singen sie im Stadion nach jedem Tor das Lied von der roten Fahne. Der Arbeiterverein AS Livorno ist eine Mischung aus St. Pauli und dem FC Liverpool. Und Cristiano Lucarelli ist Che Guevara.

„Wir spielen für die Werftarbeiter, sie sollen sonntags etwas Gutes sehen“, sagt der bullige Stürmer. Er weiß, wovon er spricht. Lucarelli ist in Livornos Armenviertel Sangai aufgewachsen. Sein Vater trägt noch heute Kisten am Hafen. „Meine Eltern haben mir beigebracht, welche Werte zählen.“ Nach zehn Schuljahren hatte Lucarelli die achte Klasse geschafft. 1996 lief er mit der italienischen U21-Nationalmannschaft zum ersten Mal in Livornos hässlichem Backsteinstadion auf. Er traf und zeigte das Che-Konterfei, das er unter dem Trikot trug. Das Publikum war aus dem Häuschen, die Verbandschefs weniger. Es war sein vorläufig letzter Auftritt im Nationaldress. Erst als Lucarelli in der vergangenen Saison so oft traf wie niemand anderes in Italien, wurde er wieder nominiert. Dennoch wird die WM in Deutschland wohl ohne den roten Bomber stattfinden.

Auch die Vereinskarriere begann durchwachsen. Er tingelte von einem italienischen Klub zum nächsten. Sogar nach Spanien ging er, doch der Durchbruch ließ auf sich warten – bis sein Heimatverein 2003 in die zweite Liga aufstieg. Da traf der Lokalpatriot eine Entscheidung, die so ungewöhnlich war, dass sein Spielervermittler zum Schriftsteller wurde. „Behaltet eure Millionen“, heißt der Bestseller über seinen Schützling.

Lucarelli stieg aus seinem gut dotierten Vertrag beim Erstligisten AC Turin aus und ging zu Livorno in die Serie B, wo er weniger als die Hälfte verdiente. Die italienische Sportpresse spottete: „Das ewige Talent will zurück zu seiner Mama.“ Doch Lucarelli fand die passende Antwort. Er blühte auf und schoss sein Team mit 29 Treffern fast im Alleingang zum Aufstieg. Nach 55 Jahren war Livorno wieder erstklassig. In der vergangenen Saison holte er auch im italienischen Oberhaus die Torschützenkrone. Er spielt, als ob eine Last von ihm abgefallen ist. „In Livorno kann ich endlich der sein, der ich wirklich bin“, sagt der 30-Jährige.

Lucarellis neue Rückennummer 99 ist nicht nur eine Zahl, sie ist eine Verbeugung vor den Fans. 1999 gründeten sich die „Autonomen Brigaden“, der harte Kern der linksradikalen Tifosi des AS. Gegen die Ultras ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Lucarelli dagegen macht aus seinen Sympathien keinen Hehl. Er erzählt gerne, wie er mit 12 zum ersten Mal selbst in Livornos roter Nordkurve stand. Als es im Frühjahr in Rom gegen Lazio ging, den Klub mit der braunsten Anhängerschaft Italiens, wurden nach Krawallen 150 Livorno-Anhänger verhaftet. Aus eigener Tasche mietete Lucarelli drei Reisebusse, um die Hitzköpfe nach ihrer Nacht in der Zelle zurück nach Hause zu bringen. „Cristiano steht für einen Sport, den es nicht mehr gibt“, stand folglich auf der Homepage der „Autonomen Brigaden“, bevor sie unter dem Druck der Polizei vom Netz genommen wurde.

Auch der Torjubel mit der geballten Faust ist nicht ganz billig. Zuletzt musste Livornos Stürmerstar für die politische Geste 15.000 Euro Strafe an den Fußballverband zahlen. Zum Vergleich: Paolo di Canio, Lazio-Kapitän und bekennender Mussolini-Anhänger, kostete sein Hitlergruß im Stadion weniger als die Hälfte (siehe Kasten).

Die Liga ist klar positioniert. Ihr Chef, Adriano Galliani, ist ein Intimus des Ministerpräsidenten und Milan-Bosses Silvio Berlusconi. Die Linke hat die kulturelle Hegemonie in den Stadien verloren. In den Chefetagen der Vereine regiert das große Geld, in den Fankurven dominieren die Neonazis. „Die Spieler reden nur noch über ihr Geld und ihre Uhren“, so Lucarelli.

Sicher, elegant sieht es nicht aus, wenn sich das Muskelpaket den Ball schnappt. In Italien gibt es technisch versiertere Spieler als den 1,88 Meter großen und beinahe 85 Kilo schweren Profi. Sein Stil ist schnörkellos. Genau wie Livorno selbst mit seinen schmutzig grauen Wohnblocks, dem verseuchten Hafen und seiner stillgelegten Werft. Sieben Tore stehen in der laufenden Saison auf Lucarellis Konto.

Das Fußballmärchen aus der Toskana könnte ein Happyend haben. Nachdem in der letzten Saison trotz Lucarellis Toren der Abstieg nur knapp verhindert wurde, geht der AS Livorno diesmal als Tabellenfünfter in die Winterpause. Egal ob die Livornesi mit ihren dunkelroten Trikots bald auch außerhalb Italiens auflaufen – für ihre Gegner wird es immer nur ein Spiel bleiben. Für Cristiano Lucarelli und seine Freunde auf den Rängen ist es Klassenkampf.