Deutschland möchte ein neues Terrororakel

DATENSCHUTZ Nach dem misslungenen Anschlag von Detroit bekommt eine alte Idee der EU-Komission neue Unterstützung: Die Daten aller Flugpassagiere in der Union sollen künftig 13 Jahre lang gespeichert werden

FREIBURG taz | Deutschland gibt den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten auf. „Die Frage ist nicht das Ob, sondern das Wie“, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) diese Woche nach Beratungen mit seinen Amtskollegen. Bisher war die Bundesregierung im EU-Ministerrat größter Skeptiker des Vorhabens.

Nach einem Vorschlag der EU-Kommission von Ende 2007 sollen die Reisedaten von Flugpassagieren 13 Jahre lang gespeichert werden. Das geht noch weit über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten hinaus, die seit Anfang 2008 sechs Monate lang festgehalten werden müssen. Außerdem kann der Staat auf die zwangsgespeicherten Telefondaten nur im konkreten Verdachtsfall zugreifen. Die Flugdaten sollen dagegen beim Staat gespeichert werden, damit er damit „Risikoanalysen“ treiben sowie „Reise- und Verhaltensmuster“ erkunden kann. Die Flugdaten würden also nicht nur im Verdachtsfall benutzt, sondern auch dazu, überhaupt erst Verdacht zu schöpfen. Das wäre eine ganz neue Qualität der Vorratspeicherung.

Konkret müssten die Fluggesellschaften pro Flug und Passagier 19 Daten an die jeweils zuständige staatliche Stelle übermitteln. Dazu gehören die jeweils benutzten Konten, Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Die Daten würden national gespeichert und nur von Fall zu Fall mit anderen EU-Mitglieds- oder Drittstaaten wie den USA ausgetauscht. Das System diene nicht nur der Bekämpfung von Terrorismus, so der Vorschlag, sondern auch von organisierter Kriminalität.

Angefangen haben damit die USA. Nach den Anschlägen von 2001 verlangten sie von europäischen Fluggesellschaften vorab die Passagierdaten.

Doch während sich Datenschützer noch über die Zumutungen der USA beschwerten, planten die europäischen Innenminister mit der EU-Kommission längst ein eigenes System zur Speicherung von Fluggastdaten. Eigentlich sollte es auf Interkontinentalflüge beschränkt sein. Doch bei der Innenministerkonferenz in Toledo wurde die Kommission jetzt aufgefordert, einen neuen Vorschlag vorzulegen, der auch innereuropäische Flüge erfasst.

Doch auch dies ist nur der Auftakt zu einer umfassenden Verdatung des Verkehrsverhaltens der Bürger. So erklärte 2008 der damals zuständige EU-Kommissar Franco Frattini in einem Spiegel-Interview: „Die Flugzeuge können nur die erste Stufe sein. In der nächsten Stufe müssen wir uns um die Züge kümmern.“ Ziel ist laut Frattini ein „System flächendeckender Überwachung der Transportwege“.

Zumindest bei der damals mitregierenden SPD kamen solche Töne nicht gut an. Und weil auch das EU-Parlament protestierte, setzte die schwedische EU-Präsidentschaft die Beratung über den Vorschlag im Oktober 2009 vorübergehend aus.

Doch nach dem weihnachtlichen Versuch eines Anschlags auf einen Flug von Amsterdam nach Detroit bekam die Idee neuen Schwung. „Wenn man das machen will, dann jetzt“, sagte Innenminister de Maizière laut Financial Times Deutschland. Allerdings forderte er ein hohes Datenschutzniveau. Etwas zögerlicher äußerte sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Wenn Deutschland überhaupt zustimme, dann müssten „ganz strenge Datenschutzanforderungen“ gelten.

Allerdings kommt es nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags auf Deutschland nicht mehr an. Da künftig in Fragen der inneren Sicherheit mit Mehrheit abgestimmt wird, hat kein Staat mehr ein Vetorecht, wenn er allein steht. Blockieren kann den geplanten Rechtsakt künftig aber das EU-Parlament, das bisher zur inneren Sicherheit wenig zu sagen hatte. Und dort haben immerhin schon Christ- und Sozialdemokraten sowie die Grünen ihren Willen erkennen lassen, gegen die Speicherpläne Widerstand zu leisten.

CHRISTIAN RATH

Meinung + Diskussion SEITE 12