Ein bisschen Ruhe bitte

Sie würden keinem Polizisten die Tür öffnen. Dabei können die „Sportsfreunde der Sperrtechnik“ in wenigen Sekunden Sicherheitsschlösser knacken. „Lockpicking“ heißt der schöne Sport. Diese Woche trafen sich die besten Lockpicker der Republik zur deutschen Meisterschaft in Hamburg

von Jan Freitag

So kurz kann Jubel klingen. „Offen!“, ruft Manfred Bölker durchs Vereinsheim von Eintracht Lokstedt und eine der wenigen Frauen im Saal kommentiert den Triumph ebenso trocken mit „drei Sekunden“. Eine Zeit mit Niveau, keine Zeit für erhobene Arme – der Hamburger mit dem schütteren Haar greift sofort zu seinem Besteck, bereitet sich vor und ein paar Minuten später wird er ein weiteres Hängeschloss in Windeseile geöffnet haben.

Es ist ein seltsamer Wettbewerb, den kreuzbrav wirkende Männer mittleren Alters hier zwischen Fußballpokalen, Mettbrötchen und kim-Aschern austragen. Zum neunten Mal ermitteln die „Sportsfreunde der Sperrtechnik Deutschland“ in Hamburg den deutschen Meister im Knacken handelsüblicher Schlösser, und wäre die Polizei in Gestalt eines assoziierten Berliner LKA-Forensikers nicht bereits da – wachsame Bürger würden wohl nach ihr rufen.

Schlossknacken, das klingt nach Krimi, nach Unterwelt und Zwielicht. Steffen Wernéry lächelt nicht, wenn er dies alles bestreitet. „Der Verein hat eine klare Satzung“, sagt sein Gründer, Präsident und Übervater. Es gehe beim sportlichen Öffnen von Schlössern um Entspannung, Fingerfertigkeit, Wettkampf, Vertrauen, Disziplin und Spaß – „aber wir würden nicht mal einem Polizisten beim Öffnen einer Tür helfen“. Da ist der Vereinsethos vor. Und der Wettkampfgedanke.

„Ein-bisschen-Ruhe-bitte-die-Teilnehmer-müssen-sich-konzentrieren-danke-schön“, sagt der 44-Jährige mit Chaos-Computer-Club-Erfahrung ohne Wortpausen ins überraschend gut gefüllte Publikum und belegt damit zweierlei: Lockpicking, so der Fachterminus, ist eine höchst anspruchsvolle Tätigkeit. Und sie zieht Experten wie Laien in einen Bann, der sie die Außenwelt für gewöhnlich rasch vergessen lässt. Während Titelverteidiger Arthur Bühl virtuos mit dem filigranen Werkzeug in einem robusten Abus-Riegel herumprökelt, versuchen sich viele Gäste an den vielen herumliegenden Modellen. Meist erfolglos, versteht sich. Manchmal aber auch nicht. Der Kameramann vom NDR etwa übt am Plexiglasmodell einer Haustür (sponsored by Wendt Sicherheits- und Aufsperrtechnik), und als er es mit einer simplen Plastikfolie öffnet, erinnert sein Gesicht an die Bescherung vier Tage zuvor. Wer nie erfolgreich geknackt hat, das zeigen seine Augen, sollte es mal versuchen.

Echt befriedigend, so in der Grauzone zu stochern. Und wenn es nicht klappt – auch kein Problem. Dafür gibt es am Stand das „Handbuch zur Schlossöffnung“ für drei Euro samt Profi-Set aus zahnarztbesteckartigen Dietrichen für 32 mehr. So haben schließlich auch die Besten mal angefangen, und selbst die scheitern noch heute gelegentlich an der Materie. „Das Niveau der Schlösser hat in den letzten Jahren immens zugenommen“, meint Steffen Wernéry ehrfurchtsvoll und es scheint, als fühle er sich daran nicht unbeteiligt. Selbst Arthur Bühl, der Weltbeste aus Stuttgart mit Wohnsitz im Lockpickermekka Hamburg, überschreitet dreimal das Zeitlimit und muss einen seiner Titel abgeben. Der Fun-Sport, sagt Nachfolger Bölker, sei „eine deutsche Angelegenheit“. Auch, weil es andernorts häufig juristische Bedenken gegen die Aufweichung technischer Sicherheitsstandards gibt.

In Deutschland zählt der 1997 gegründete Verein neben der Hamburger Zentrale 16 Ortsgruppen, während international viele Verbände erst im Aufbau sind, so etwa in den USA. Doch 2006 wird es eine Europameisterschaft geben, und Manfred Bölker wird diesmal sechs Wochen lang vier Stunden täglich Hand- , Blitz-, Hangöffnung, Impressionstechnik und Freestyle üben, seine Familie vernachlässigen und auch seinen Beruf. Der 50-Jährige ist Zahnarzt. Beim Schlüsseldienst arbeitet ohnehin keiner der Finalisten.

„Scheiße“, ruft sein Widersacher Bühl, obwohl das Modell nach kaum 36 Sekunden aufschnappt. „Ich bin so schlecht heute.“ Pures Understatement. In der Königsdisziplin Handöffnung am Zylinderschloss lässt er seine acht Konkurrenten schon wieder hinter sich.

Für einen anständigen Bruch würde das schon reichen.