Hartz geht auf die Psyche

Bilanz nach einem Jahr Hartz IV: Bewerbungsdruck und Existenzängste verschärfen die seelischen Nöte von Arbeitslosen, warnt Hamburgs einzige psychologische Beratungsstelle für Erwerbslose. Zahl der Hilfesuchenden um ein Fünftel gestiegen

von Kaija Kutter

Den Ein-Euro-Job in einem Sekretariat hat Bettina Schneider* schon hinter sich. Und obwohl sie seither mehr als hundert Bewerbungen schrieb, findet die 52-Jährige einfach keine Stelle. Nun lebt die Geisteswissenschaftlerin von 345 Euro Arbeitslosengeld II. „Ich habe das Gefühl, nichts mehr wert zu sein“, sagt sie. „Für meine Hobbys reicht das Geld nicht, Freunde habe ich kaum, und mit meiner Familie gibt es nur Stress.“

Für Menschen in Schneiders Lage gibt es seit Ende der 80er Jahre die „Solidarische Psychosoziale Hilfe Hamburg“, kurz SPSH, im Schanzenviertel, die mit Einzelgesprächen oder Gruppenangeboten zu verhindern sucht, dass aus einer depressiven Zurückgezogenheit eine ernsthafte Krankheit wird. „Nicht alle Erwerbslosen sind krank“, berichtet SPSH-Psychologin Renate Schumak. Aber Erwerbslosigkeit sei ein klarer Risikofaktor dafür.

Doch die Aufgabe des dreiköpfigen Psychologenteams wird durch die Hartz-IV-Reform erschwert. Die Sorgen und Nöte der Menschen „haben sich qualitativ verschärft“, warnt Schumak, verursacht durch einen „ganzen Strauß von Faktoren“. Neben der harten Einschränkung, mit nur 345 Euro auskommen zu müssen, greife die Reform in private Lebensbereiche ein und schaffe damit neue Ängste wie den des Wohnungsverlusts oder der Furcht, beim Zusammenziehen mit dem Partner den Geldanspruch zu verlieren. Und dies, so Schumak, obwohl das Bundesverwaltungsgericht den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft so eng eingrenze, dass ein Zusammenleben nicht gleich mit Hilfeentzug geahndet werden könne. Schumak: „Nur leider wird dies öffentlich anders transportiert.“

Nötig für die Erwerbslosen wäre, eine Alltagsstruktur zu finden, Dinge zu tun, die „Kraft geben“ sowie zu lernen, würdevoll mit der Lage umzugehen. Doch dies werde durch die „aktivierende“ Art, in der die Arbeitsgemeinschaft (Arge) die Hartz-IV-Empfänger betreut, erschwert, warnt SPSH-Geschäftsführer Chritsian Schultz: „Obwohl es keine gibt, wird Arbeit immer wichtiger.“ In der Regel müssen die ALG-II-Bezieher ihrem Sachbearbeiter drei, in einem Fall sogar sieben Bewerbungen pro Woche nachweisen, „sonst gibt es Ärger“. Die Menschen, ergänzt Schumak, hätten das Gefühl, dies nur für das Amt zu tun, „ohne zu sehen, dass sich jemand für sie interessiert“.

Bei den meisten ginge das Vertrauen in die Arge „gegen null“, was schade wäre, weil es nicht stimme, dass die Sachbearbeiter denen „Böses“ wollten. Nur seien diese überlastet und die geplante Relation von einen Fallmanager für 75 Menschen ein „frommer Wunsch“ geblieben.

Doch auch die SPSH kann sich seit Start der Hartz-Gesetze vor Nachfrage kaum retten. Jeweils etwa 1.000 Menschen fragten in 2004 und 2005 telefonisch oder persönlich um Rat – ein Fünftel mehr als in früheren Jahren. „Wir brauchen dringend mehr personelle Kapazitäten“, appelliert Schultz an den Senat und schätzt die Zahl der Erwerbslosen mit psychologischem Beratungsbedarf auf 10.000. Und darauf haben jene, Hartz sei Dank, neuerdings sogar Rechtsanspruch.

*Name geändert

Infos: ☎ 430 22 70 & www.spsh.de