BERLIN – KOMPARSEN LEBEN HIER GENUG
: Gestalter wüten im öffentlichen Raum

Der Berliner nimmt es mit der ihm eigenen Bärbeißigkeit, dass seine Stadt ein Opfer der Weltmeisterschaft ist und mit Fußballexponaten verschandelt wird. Wo früher Luft und Fläche war, trifft er nun auf riesige Bälle und überdimensionale Stollenschuhe. Die WM entwickelt eine anstrengende Allgegenwart: Überall sind solche Fußballdevotionalien zu sehen. Das ging schon mit dem Fußballglobus los, den der Eventologe André Heller vor dem Brandenburger Tor platziert hatte. Diese Kugel war offen und begehbar zum Studium der Eingeweide dieser Sportart. Bald wird die mit Folie tapezierte Kugel des Fernsehturms zum Riesensymbol der WM-Manie. Seine Botschaft: Dem Fußball wird die Luft nicht ausgehen. Im Gegenteil, je näher das Ereignis rückt, desto größer bläht sich der Ball. Jedenfalls in unserer Wahrnehmung.

In Berlin also, wo in ein paar Monaten die deutsche Nationalmannschaft residiert, wüten die Ikonografen dieser WM. Wenn sie es zu bunt treiben, greift der Berliner zur Selbstjustiz, zerstört Schaukästen und lässt deren Inhalt mitgehen. Aber es gibt auch Orte, die fernab des Epizentrums liegen und an denen sich der Fußballfan vom Terror der Raumgestalter erholen kann. Glücklicherweise existieren hier genug solcher Oasen: Kneipen, in denen kleine Runden dem großen Runden huldigen.

Wer mehr Masse will, bitte sehr: Dem bietet Berlin freilich alles. Zwanzig Millionen Touristen werden erwartet. Der Treffpunkt für Fußballtrunkene wird der Potsdamer Platz sein, nicht zufällig Sitz von Global Playern wie Sony. Wo sich Berlin als Metropole inszeniert, kommt es zur Symbiose von Wirtschaft, Fußball und zugereistem Fan – und es gibt unter den drei Millionen Einheimischen immer genügend viele, die bei so etwas als Komparsen mitwirken.

Nun sollen die Berliner zum Schauspiel freundlich lächeln. Selbst der meckerfreudigste Taxifahrer soll auf polyglotter Charmeur gestylt werden und sogar ein paar Brocken Englisch sprechen. Die Umerziehung einer Stadt ist bereits angelaufen. Es ist ja nicht das erste Mal. MARKUS VÖLKER