Explosive Gefahr neben dem Atomfossil

Nordeuropa ist womöglich nur knapp an seinem schlimmsten Katastrophenszenario vorbeigeschrappt: Die ungeschützten Reaktoren des AKW Sosnowi Bor blieben nur per Zufall von den Folgen eines Zwischenfalls im nahen Schmelzwerk verschont

AUS STOCKHOLM R. WOLFF

Der Unglücksfall, der sich Mitte Dezember nahe dem bei St. Petersburg gelegenen russischen AKW Sosnowi Bor ereignete, war gefährlicher als offiziell eingestanden. Nur per Zufall blieb die Explosion auf das Schmelzwerk Ecomet-S beschränkt, in dem verstrahltes Metall aus Atomanlagen verarbeitet wird. Nur 50 Meter weiter liegt ein ungesichertes Atommülllager, und auch einer der der vier Reaktoren des grafikmoderierten Tschernobyl-Typs ist nur 700 Meter entfernt.

Wie die norwegische Umweltorganisation Bellona jetzt berichtete, hatten Arbeiter die Vorschriften über die Vorbehandlung des zu schmelzenden Metalls verletzt. Daraufhin bildete sich gefährliches Gas, das dann explodierte. Glück im Unglück war dabei, dass es sich nur um eine geringe Gasmenge handelte. Die Explosion erreichte den Reaktor nicht.

Die russische Anti-AKW-Gruppe Green World sieht in dem wiederholten Unfall – es ist bereits der zweite innerhalb von drei Jahren – eine „logische Konsequenz einer Kette von illegalen Handlungen“. Als das Schmelzwerk vor vier Jahren auf dem AKW-Gelände errichtet wurde, seien die gesetzlichen Vorschriften umgangen worden. Zudem habe die Gesellschaft den Betrieb immer weiter ausgedehnt. Statt nur Schrott aus dem AKW Sosnowi Bor zu verarbeiten, übernahm sie ganze Schiffsladungen aus anderen AKWs. Angeblich steht das Werk auch in Verhandlungen mit Deutschland und Litauen, um auch bei dortigen Reaktoren anfallenden Metallschrott entgegenzunehmen.

Die hohe Auslastung sorgt für Druck: „Praktisch in jeder Schicht werden wir gezwungen gegen Sicherheitsvorschriften zu verstoßen“, zitiert Green World einen Schmelzwerkangestellten. Es gebe keine ausreichende Kontrolle, ob das eingeschmolzene und dann teilweise ins Ausland verkaufte Metall tatsächlich nicht mehr verstrahlt sei.

Ein Strahlenunfall in Sosnowi Bor gilt in nordeuropäischen Katastrophenschutzplänen als Horrorszenario mit unabsehbaren Folgen. Die veralteten und ungeschützten Reaktoren sind nur 80 Kilometer von der Fünfmillionenstadt St. Petersburg, 150 Kilometer von Helsinki und 500 Kilometer von Stockholm entfernt. Eine Studie warnt vor „Massensterben und vollständigem gesellschaftlichem Kollaps“. Das hindert allerdings skandinavische Großkonzerne der Metall- und Papierindustrie wie Stora Enso, SCA und Boliden nicht daran, die AKW-Rentabilität auf weitere Jahre zu sichern – wegen des billigen Stroms. Wenige Tage vor Weihnachten schlossen sie über eine gemeinsame Stromhandelsfirma ein Abkommen mit Rosenergoatom, in den nächsten 15 Jahren aus Russland je 8 Terawattstunden Strom zu beziehen, ein Teil davon soll Atomstrom aus Sosnowi Bor sein.