Die Weltelf 2006 versammelt die Personen, an denen im kommenden Jahr niemand vorbeikommt. Sie sind ganz vorn zu finden, taktieren in der Mitte – und passen auf, dass hinter ihnen nichts passiert. Ob das gelingt? Die Welt ist rund

Der Krasse

Sturm: Sido. Aus dem Abseits, wo es wehtut, auf den Boulevard

Wenn die Aufgabe eines Mittelstürmers darin besteht, dort zu sein, wo es wehtut, den Killerinstinkt zu haben und das Ding reinzumachen, dann dürfte Sido die Idealbesetzung sein. Er kommt aus dem Westberliner Plattenbaubezirk Märkisches Viertel, da tut es richtig weh. Mit dem Killerinstinkt verdient er sein Geld, deshalb wird er auch gerne Gangsterrapper gerufen. Und gut die Hälfte seiner Texte handelt von nichts anderem, als sein Ding reinzumachen. Perfekt – abgesehen davon, dass jemand, der es aus dem Märkisches Viertel ins Fernsehen geschafft hat, alles daransetzt, nicht wieder ins Abseits zu laufen.

Der Job des Unterschichtenrepräsentanten wird auch im kommenden Jahr zu erledigen sein, auch wenn bürgerliche Kulturpolitikerinnen das gern anders hätten – wie Monika Griefahn etwa, die es am liebsten sähe, würde die Unterschicht wenigstens die Klappe halten, wo sie sich schon weigert zu verschwinden. Tatsächlich ist Sido sogar erstaunlich schweigsam für einen Rapper. Meistens laufen die Interviews mit ihm ja so ab, dass irgendein aufgedrehter Moderator ruft: „Hey Sido! Wie geht’s? Was macht die Unterschicht? Erzähl doch mal!“, worauf Sido meistens nicht mehr sagt als „Krass, Alter“. Das reicht.

Denn seine Attraktivität beruht auf einem ganz einfachen Widerspruch, den er telegen wie kein anderer zu verkörpern weiß: Er verbindet die Gefährlichkeit des Rappers, der mit sexuellen Gewaltfantasien wie im „Arschficksong“, mit Drogenverherrlichung wie in „Endlich Wochenende“ und mit Lobliedern auf das harte Leben im Märkisches Viertel wie „Mein Block“ zu einigem Ruhm gekommen ist, mit erstaunlicher Putzigkeit.

Das funktioniert prima. Denn Sido ist sich für keine Hohlköpfigkeit zu schade, die das Leben im Fernsehen so mit sich bringt, trotzdem erweckt er aber nie den Eindruck, wirklich Teil dieser Sphäre zu sein. Er rutscht zwar für Stefan Raab in einem Wok durch einen Eiskanal, vorher raucht er aber demonstrativ den größten Joint, den man am frühen Samstagabend je im deutschen Fernsehen sah. Diese Balance muss Sido auch 2006 halten, wenn ein neues Album ansteht.

Dann kann er, wenn es gut läuft, Harald Juhnke nachfolgen, diesem anderen großen Mittelstürmer des Westberliner Boulevards. Wenn es schlecht für ihn läuft, übrigens auch. TOBIAS RAPP