Geld fürs nackte Gesäß

Das Ebertbad in Oberhausen umschifft den finanziellen Abgrund mit einem altbekannten Boulevard-Stück. Ex-Missfits-Kabarettistin Gerburg Jahnke inszeniert „Ganz oder gar nicht - Ladies Night“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Es geht um Geld. Besser noch: um kein Geld. Denn die Herren, um die es geht, sind allesamt arbeitslos. Das Haus verlassen sie höchstens noch, um Aktenkoffer spazieren zu führen oder bei der Arbeitsagentur Schlange zu stehen. Mehr als Hartz IV hat diese aber erwartungsgemäß nicht zu bieten. Also nehmen es die Männer selbst in die Hand. Wortwörtlich. Sie machen sich nackt. Und zwar splitterfasernackt. Vor Publikum und gegen Bares.

Gerburg Jahnke, die eine Hälfte des aufgelösten Kabarett-Duos „Missfits“, hat mit „Ganz oder gar nicht – Ladies Night“ ein altbekanntes Boulevard-Stück auf die Bühne des Oberhausener Ebertbades bugsiert. Verfilmt wurde es auch schon. Und es passt perfekt zur Lage des schmucken Hauses. Unlängst noch stand das zum „Kleinkunsttempel“ (Eigenwerbung) umfunktionierte Schwimmbad am finanziellen Abgrund. Ein Stück musste her, das Geld in die Badehalle spült. Also wagte man sich an die erste Eigenproduktion, für die selbst Hajo Sommers, Jahnkes Verlobter und einer der Betreiber des Bades, die Hosen runter lässt.

38 Mal wird das „Ganz oder gar nicht“ gezeigt. Und nach der ausverkauften Premiere am vergangenen Freitag ist klar: Das magenschonende Stück wird die Kasse des Ebertbades klingeln lassen. Standing Ovations, spitze Frauenschreie und behäbiges Männergelächter – der Lohn für die nackten Tatsachen war hoch. Etwas zu hoch vielleicht, erschöpft sich Jahnkes auf zwei Stunden ausgewalzte Version doch zuweilen allzu sehr in Klischees. Aber egal. Es muss eben gerülpst und geschwitzt werden. Sonst sind‘s ja keine Männer.

Dennoch: Unterschiedlicher könnten die Figuren nicht sein - abgesehen von Geschlecht und beruflichem Status Quo. Paco (Carlos Lopez) ist ein spanischer Zampano, geschiedener Vater und chronisch klamm, Heiner (Hajo Sommers) verkauft „anner Bude“, ist mittleren Alters und hüft- sowie muttergeschädigt, HP (Heinz-Peter Lengkeit) ist ein sympathischer und ewig Witze reißender Ruhrpöttler, Guido (Nito Juan Manuel Torres y Soria) ist schwul und Inhaber einer prächtigen Genitalbeule und Herr Weiss, genannt Günni, ein gescheiterer Tänzer mit Hang zu gelegentlichen Wutausbrüchen. Ach ja, und dann ist da noch Omega, der auch in der Realität so heißt: Omega Awlime, ein Afrikaner, seit 24 Jahren Wahlbochumer. Er taucht auf, als sich die anderen fünf schon gefunden haben. HP, Paco und Heiner treffen sich, als Letzterer gerade vermittels eines Stricks seiner Verzweiflung zu entrinnen sucht. Dann kommt der arbeitslose Günni dazu, der vom Erzfeind zum Leidensgenossen mutiert - und gemeinsam sucht man per Zeitungsannonce nach Mitstreitern. Voraussetzungen: Geldnot und Bereitschaft zum Ausziehen. Guido hat beides. Und ist außerdem (siehe oben) auch noch erschreckend männlich, jedenfalls untenrum. Dann kommt, wie gesagt: Omega. Die Halle bebt.

Im echten Leben war Omega Awlime Gogo-Tänzer, er kennt also den Job und stiehlt den anderen locker die Show, als er auf Händen und Füßen durchs Publikum turnt, den gestählten Körper windend, als gäbe es kein Morgen. Während die anderen sich sorgen, die zahlenden Frauen könnten über wabbelnden Wampen lachen oder gar über andere Kleinigkeiten, leidet er tapfer mit. Aus Solidarität wohl. Einen anderen Grund gibt es nicht. Und dann wird trainiert und geprobt, der große Abend kommt und die Angst gleich mit. Ohne Grund: Die Tangas rutschen, das Publikum kocht.

Jahnke hat erfahrene und fachfremde Darsteller besetzt. Torres y Soria und Lopesz etwa arbeiteten bereits mit Klaus Weise am Bonner Theater. Und Lengkeit ist ein vor allem im Ruhrgebiet bekannter Komiker. In Oberhausen setzt er Jahnkes Anspruch, das Stück als stimmige Ruhrpott-Story zu verkaufen, am besten um. Obwohl in Berlin geboren und in Bonn zur Schule gegangen, hat sich die Mentalität des Reviers bei Lengkeit bis in die zusseligen Resthaare fortgepflanzt – inklusive Slang und schnoddriger Offenheit. Er bietet die mit Abstand beste Leistung an diesem Abend.

Wobei: Schon der Mut, sich auf der Bühne auszuziehen, gehöre belohnt, erklären hernach einige Besucherinnen standhaft. Sie haben wohl Recht. Und man geht beschwingten Schrittes in die verschneite Nacht.

Die nächsten Termine:5. bis 8., 12. bis 15. Januar 2006Infos: 0208-2054024