„Konsumweisen müssen sich ändern“

Um weniger Müll zu verbrennen, müssen ihn alle vermeiden, sagt Abfallexperte Björn Rickert: Die Kapazitätsabsprachen zwischen Politik und Müllverbrennern seien gut, ein Ausbau der Anlagen nicht notwendig

taz: Vertreter der Abfallbranche behaupten, es gebe Engpässe bei der Müllverbrennung in Nordrhein-Westfalen. Umweltschützer und Landesregierung sagen, die Kapazitäten reichen aus. Wer hat denn jetzt Recht?

Björn Rickert: Es ist nötig, zwischen privatem und gewerblichem Hausmüll zu unterscheiden. Wir als Verbraucherzentrale haben den Eindruck, dass die Kapazitäten für den privaten Hausmüll in NRW ausreichen. Beim Gewerbemüll gibt es aber offensichtlich seit dem Deponieverbot Engpässe und Gerangel. Vor den Entsorgungsunternehmen haben sich regelrechte Schlangen gebildet.

Also sollte man die Müllverbrennungsanlagen weiter ausbauen?

Nein. Was den privaten Müll angeht, müssen wir versuchen, mit dem derzeitigen Bestand auszukommen. Es macht keinen Sinn, die Anlagen auszubauen oder sogar in neue Anlagen zu investieren. Damit würde man sich auf jahrzehntelange Stoffströme festlegen, da die Müllverbrennungsanlagen ja auch ausgelastet sein müssen. Wir müssen dabei aber auch an die kommenden Generationen denken, die vielleicht wieder mit Unterkapazitäten zu kämpfen haben.

Ist die Abmachung zwischen Minister Uhlenberg und den MVA-Betreibern sinnvoll, vorrangig Hausmüll zu verbrennen?

Ja, das hat uns positiv überrascht. Durch das Abkommen müssen die Betreiber jetzt selbst für ausreichende Kapazitäten beim Gewerbemüll sorgen und auf eigene Kosten in ihre Anlagen investieren. Das ist auch gut so, denn die Engpässe dürfen nicht zu Lasten der Verbraucher gelöst werden. Der Spieß hat sich durch das Deponieverbot umgedreht: Bisher haben die Entsorgungsunternehmen immer versucht, den Kommunen möglichst viel Gewerbemüll abzujagen, um damit gutes Geld zu verdienen. Übrigens mit dem Versprechen, alles zu verwerten. Dadurch sind viele Anlagen der öffentlichen Entsorger leer gelaufen und hatten jahrelang Unterkapazitäten.

Die Menschen sparen zunehmend Müll ein. Werden die MVAs nicht in einigen Jahren überflüssig sein?

Das ist eine gute Frage. Natürlich sind ein geringeres Müllaufkommen und ein geringerer Verbrauch an Rohstoffen wichtige Nachhaltigkeitsziele. Die Politik will bis zum Jahr 2020 den Müll komplett verwertbar machen. Die Chancen, das zu erreichen sind allerdings nicht die Besten.

Was müsste passieren, um dieses Ziel zu erreichen?

Die Konsum- und Produktionsweisen der Verbraucher und Hersteller müssen sich ändern. Wir müssen haltbarere Produkte kaufen, Restmüll reduzieren und mehr Wertstoffe zurückgewinnen. Ein gutes Beispiel dafür ist das neue Elektro-Abfallgesetz, das ab 24. März 2006 für alle Bürger wichtig wird: Ab dann müssen alte Elektro-Geräte separat vom Hausmüll abgegeben werden. Aber der Gesetzgeber ist weiterhin gefragt: Er muss dringend konkrete und quantifizierte Nachhaltigkeitsziele formulieren. Zwar bekennen sich alle zur Nachhaltigkeit, aber vor allem die Wirtschaft betont dabei zurzeit in erster Linie die soziale Dimension. Eine Begrenzung auf das Arbeitsplatzangebot macht aber keinen Sinn, wenn uns die Lebensgrundlagen dabei davonschwimmen.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS