Berlin steht ganz oben auf dem Siegertreppchen

Ganz sicher wird das Sportjahr 2006 das beste, das die Stadt je erlebt hat. Die Eisbären werden Meister, Hertha auch. Ein Berliner entscheidet die Fußball-WM, Union kriegt ein Stadion und die Füchse stapeln Sponsoren

von Andreas Rüttenauer

Olympische Träume

Klaus Wowereit empfängt die Berliner Sportlerinnen und Sportler, die bei den olympischen Winterspielen in Turin für Deutschland an den Start gegangen sind. Er zeigt sich begeistert von den Leistungen der Berlinerinnen und Berliner in Norditalien. Claudia Pechstein, die wieder einmal mit einer Goldmedaille zurückgekehrt ist, wird in Bronze gegossen und statt der Goldelse auf die Siegessäule montiert – ein durchaus imposanter Anblick (siehe Foto). Der Regierende Bürgermeister findet es an der Zeit, Berlin als Metropole des Wintersports zu etablieren. Überhaupt haben es ihm die Winterspiele angetan. Spontan verkündet er, dass sich Berlin um die Spiele der Winterolympiade 2014 bewerben wolle. „Die Rodelbahn am Potsdamer Platz zeigt doch, dass wir uns in diesem Bereich nicht zu verstecken brauchen“, meint Wowereit. Georg Hackl wird als Botschafter der Berliner Olympiabewerbung vorgestellt und erhält den Ehrennamen „Rodelnde Currywurst“. In jedes Mikrofon, das ihm entgegengestreckt wird, spricht er einen Satz, der in die Stadtgeschichte eingehen wird: „I bin a Berliner!“

Eiszeit

Die Eisbären Berlin gewinnen erneut den Titel in der Deutschen Eishockeyliga. Wieder schallt das berüchtigte „Ost-, Ost-, Ostberlin“ der Fans durch den Wellblechpalast in Hohenschönhausen. „Dynamo“-Sprechchöre sind bis in die westlichen Bezirke zu hören. Detlef Kornett, der Europageschäftsführer der Anschutz-Entertainment-Group ist begeistert und bekennt sich zur neuen Superarena am Ostbahnhof. Er verspricht bereits zum zehnten Mal, dass der Baubeginn unmittelbar bevorstehe. Es müsse nur noch ein Namenssponsor für die neue Halle gefunden werden. Da zeigt Bahnchef Hartmut Mehdorn nach dem beschlossen Umzug seiner Firma an die Elbe doch noch einmal ein Herz für die Hauptstadt und macht die Bahn zum Namensgeber der Superarena. „Ich freue mich schon auf die Sprechchöre“, sagt er. Demnächst wird es also „Ost-, Ost-, Ostbahnhof“ aus der Eisbärenkurve schallen. So ist die Bahn wohl noch nie angefeuert worden.

Die Reiseschreibmaschine

Dieter Hoeneß ist überglücklich. Stundenlang steht der Manager von Hertha BSC Berlin bei den Journalisten aus aller Herren Länder. Endlich hat er Menschen gefunden, die seine Geschichte von der Reiseschreibmaschine noch nicht kennen. Und so ist am Tag nach dem Uefa-Cup-Finale von Istanbul bis Lissabon die wundersame Geschichte zu lesen, wie ein schwäbischer Manager aus einem hauptstädtischen Provinzclub, auf dessen Geschäftsstelle er bei Amtsantritt nur eine rostige Reiseschreibmaschine vorgefunden hat, einen europäischen Spitzenverein gemacht hat. Nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft und dem Sieg im A-Jugend-Pokalfinale ist der Uefa-Cup nun bereits der dritte Pokal, den die Berliner in diesem Jahr hoch in den Himmel stemmen. Der Hertha-Aufsichtsratsvorsitzende Rupert Scholz verkündet vor mindestens drei Millionen euphorisch feiernden Berlinern vom Balkon des Roten Rathauses herab: „Jetzt werden wir auch noch Weltmeister!“

Rache

Berlin Thunder tritt auch 2006 als einer der Favoriten in der National Football League Europe an. Die besten Spieler aller deutschen Mannschaften werden in Berlin zusammengezogen. Es gilt, die Schande des Vorjahres vergessen zu machen. Damals waren die Amsterdam Admirals als einziges nichtdeutsches Team im Europaableger der amerikanischen Football-Liga angetreten und hatten den Wettbewerb prompt gewonnen. Die World Bowl IX soll nun unbedingt nach Deutschland geholt werden. Beim ersten Kick-off der Saison meint Ehrengast Angela Merkel, dass es für Deutschland an der Zeit sei, sich wieder an die Spitze Europas zu stellen. 40 US-Amerikanern im Team von Berlin Thunder gelingt es in der Tat, den Titel nach Deutschland zu holen. Angela Merkel ist begeistert. Dennoch steht sie nach dem Finale ein wenig ratlos im VIP-Raum: „Dass die den Ball in die Hand nehmen dürfen, das verstehe ich immer noch nicht.“

Weltmeister

Der 9. Juli ist der wichtigste Tag in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das Finale der Fußballweltmeisterschaft findet auf deutschem Boden im Olympiastadion der deutschen Hauptstadt Berlin statt. Dabei treffen die Nationalmannschaften von Schweden und Kroatien aufeinander. Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung steht es 0:0. Ein Elfmeterschießen muss die Entscheidung herbeiführen. Die ersten fünf Penalties beider Mannschaften sind nicht zu halten. Nun verschießt ein schwedischer Verteidiger. Nico Kovac, Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft und Mittelfeldspieler von Hertha BSC, greift sich den Ball, legt ihn sich zurecht, läuft an – und trifft. Er macht sein Land und sich zum Weltmeister. „Ich habe es doch gleich gesagt“, freut sich Rupert Scholz nach dem Abpfiff. Er wird auf der nächste Mitgliederversammlung von Hertha BSC zum Aufsichtsratsvorsitzenden auf Lebenszeit gewählt.

Absteiger

Auch in diesem Jahr wird wieder Handball gespielt in der Hauptstadt. Die Reinickendorfer Füchse machen weiter von sich reden. Beinahe wöchentlich präsentieren sie einen neuen Sponsor. Manager Bob Hanning wird nicht müde, seine Vision vom Hauptstadthandball zu besingen. Er redet von der Champions League, von Meisterschaften und Pokalsiegen. Derweil geht beinahe unter, dass die Füchse aus der zweiten Bundesliga abgestiegen sind. In einem Heißluftballon werden den Pressevertretern indes zwei neue Sponsoren für die nächste Saison präsentiert: ein Schreibwarenladen in der Reinickendorfer Straße und eine Wäscherei in der Schönhauser Allee. Präsident, Teppichhändler und Ex-CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel ist sich sicher: „Die Füchse werden uns noch viel Freude machen.“

Försterei

Bei Union Berlin wird immer professioneller gearbeitet. Nach der Installation von Christian Beeck als Teammanager und Jörg Heinrich als Sportdirektor werden weitere wichtige Posten in der Vereinsführung neu geschaffen. Nachdem Präsident Dirk Zingler einen Manager für Öffentlichkeitsarbeit, einen Trainingsmanager, einen Manager der Kegelabteilung, den Manager für die Durchführung der Karnevalsfeier und einen Fanmanager in das Führungsgremium des Vereins aufgenommen hat, verkündet er nach dem verpassten Aufstieg in die Regionalliga, dass in Zukunft auch in die Mannschaft investiert werden solle. Zuvor allerdings präsentierte er die Pläne für ein neues Stadion an der Alten Försterei: Die Union-Arena soll mindestens 50.000 Zuschauer fassen und von den Fans finanziert werden. Die Kampagne zur Finanzierung des Stadions heißt „Bauen für Union“. Dabei sollen die Anhänger die Möglichkeit erhalten, ihren Club durch eigene Arbeitsleistung am Bau zu unterstützen. Die benötigten Materialien dürfen von den Fans selbst erstanden werden. Beim Heimspiel gegen den Torgelower SV Greif sollen die ersten zehn Quadratmeter der neuen Waldtribüne der Öffentlichkeit übergeben werden.

Das Wunder

Genau ein Jahr nach dem schrecklichen Zusammenbruch des Basketballers Matej Mamic in der Max-Schmeling-Halle geht ein Raunen durch die Zuschauer der Bundesligapartie zwischen Alba Berlin und TBB Trier. Das Spiel steht auf des Messers Schneide, als 30 Sekunden vor Schluss jener Mamic von Trainer Henrik Rödl aufs Feld geschickt wird, der ein Jahr zuvor regungslos mit einer Rückenmarksprellung auf dem Parkett gelegen hatte. Mit der Schlusssirene trifft er von jenseits der Drei-Punkte-Linie und stellt so den 81:80-Erfolg seiner Mannschaft sicher. Das Sportwunder wird in allen Zeitungen eine Woche lang gefeiert. Beim Spiel im europäischen Uleb-Cup kurz darauf hat Berlin gegen den österreichischen Meister Kapfenberg aber nicht den Hauch einer Chance. Die ganze Stadt lacht über Alba. Von Matej Mamic spricht schon bald niemand mehr.