Die Linke zerlegt sich selbst

ITALIEN Mit der Wiederwahl von Giorgio Napolitano zum Präsidenten ist eine Koalition zwischen der Demokratischen Partei (PD) und Berlusconis Partei (PdL) nur folgerichtig

Auf dem Papier hatte die Linke beste Chancen, den eigenen Kandidaten zu krönen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Italiens neuer Staatspräsident ist der alte: Am Samstagabend wurde Giorgio Napolitano mit einer klaren Dreiviertelmehrheit der Wahlversammlung im Amt bestätigt. Der bald 88-Jährige ist damit der erste Präsident in der Geschichte der Republik seit 1946, der eine zweite Amtszeit antritt.

So hoch das Ansehen Napolitanos im In- wie im Ausland auch ist, seine Wiederwahl war nichts anderes als ein Akt schierer Verzweiflung der zu einer anderen Entscheidung unfähigen Linken. Am Morgen des Samstags waren Delegationen der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PdL), der rechtspopulistischen Lega Nord und des Lagers von Mario Monti zu dem greisen Präsidenten gepilgert, um ihn gleichsam auf Knien anzuflehen, sich noch einmal zur Verfügung zu stellen. Denn ein anderer Kompromiss schien unmöglich, vor allem wegen der tiefen Spaltungen in der PD.

Die PD allein verfügte in der Wahlversammlung aus Abgeordnetenhaus, Senat und 58 Vertretern der Regionen über 496 der 1.007 Stimmen. Auf dem Papier hieß dies: Sie hatte beste Chancen, einen eigenen Kandidaten durchzubringen, spätestens vom vierten Wahlgang an, ab dem die absolute Mehrheit ausreicht. Und wie „stark“ die Linke scheinbar war, zeigte sich an dem Faktum, dass alle Kandidaten aus ihren Reihen stammten, auch wenn ihr mit der Rechten aus PdL und Lega sowie mit der M5S („5-Sterne-Bewegung“) unter Beppe Grillo zwei weitere große Blöcke gegenüberstanden.

Zunächst hatte PD-Chef Pierluigi Bersani mit dem 80-jährigen Franco Marini einen Elder Statesman der Partei ins Rennen geschickt, einen aus dem politischen Katholizismus stammenden Politiker, den auch Berlusconis und Montis Truppen mitzuwählen bereit waren. Doch umgehend erklärte Bersanis innerparteilicher Widersacher Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz, sein Flügel werde nie und nimmer Marini wählen. Und auch die innerparteiliche Linke wertete die Absprache mit Berlusconi als faulen Kompromiss. Der Allianzpartner der PD, Sinistra Ecologia Libertà (SEL; „Linke, Ökologie, Freiheit“) unter Nichi Vendola ging ebenfalls auf Distanz und optierte für den Grillo-Kandidaten. M5S nämlich hatte zu einem geschickten Schachzug gegriffen und den ebenfalls fast 80-jährigen Franco Rodotà ins Rennen geschickt. Rodotà hatte in den Jahren 1979 bis 1992 für die Linke im Parlament gesessen und war als Vorkämpfer für Bürgerrechte aktiv.

Der offizielle PD-Kandidat Marini fiel daraufhin krachend durch. Am zweiten Tag schickte die PD ihren Übervater Romano Prodi ins Rennen, nun gegen statt mit Berlusconi. Doch mehr als 100 Abtrünnige aus den eigenen Reihen, die den Pakt mit Berlusconi einem möglichen Kompromiss mit Grillo vorzogen, sorgten ihrerseits dafür, dass Prodi bei demütigenden 395 Stimmen hängen blieb. Noch am Freitagabend reichte deshalb Bersani seinen Rücktritt als Parteichef ein. Am Samstag dann demonstrierten Tausende Menschen vor dem Parlament, „Grillini“ ebenso wie PD-Wähler, und forderten die Linke auf, für Rodotà zu stimmen. Doch die PD schwenkte erneut um und optierte für die Wiederwahl Napolitanos, im Zeichen der kommenden Koalition mit Berlusconi. Ebendiese Koalition nämlich soll „König Giorgio“ als Preis für seine Kandidatur gefordert haben.

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