Städte lösen sich auf

Aachen und das Ruhrgebiet bewerben sich um den Titel „Stadt der Wissenschaft“. Kommende Woche tagt erstmals die Jury. Und müsste zumindest das Ruhrgebiet rauswerfen – ganz streng genommen

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Ein Ziel dieser Auszeichnung ist Transparenz. Wer sich „Stadt der Wissenschaft“ nennen will, muss die Forscher aus ihren Elfenbeintürmen zerren und Wissenschaft für jeden verständlich machen. In Bremen und Bremerhaven, die im vergangenen Jahr das vom Essener Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft vergebene Etikett trugen, hat sich das Konzept bewährt. Mehrere 100.000 Menschen besuchten 2005 rund 700 Veranstaltungen, es sprudelte, knallte und zischte, und Willi Lemke, Bremens Bildungssenator, war hernach sichtlich zufrieden.

Moment mal: Bremen und Bremerhaven? Eine Auszeichnung, aber zwei Städte? Jawohl, das geht. Und das will auch das Ruhrgebiet ausnutzen, das den Titel im kommenden Jahr tragen will. Als „Metropole Ruhr“ bewirbt sich der Pott und wirft die Städte Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen in einen Topf, ähnlich wie bei der Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“. Auch hier tritt das Ruhrgebiet als Ganzes an, allerdings mit Essen als Bannerträger vorneweg.

Doch Mitte 2004, als das Revier seine Bewerbung um den Wissenschafts-Titel ankündigte, war eine Teilnahme noch ungewiss. Eben weil der Stifterverband nur einzelne Städte, nicht aber ganze Regionen zulassen wollte: Man müsse aufpassen, dass so ein Wettbewerb durch die Bewerbung von Stadtverbindungen nicht verwässere, sagte die einstige Stifterverbands-Sprecherin Angela Lindner damals zur taz. Doch schon bei Bremen und Bremerhaven wurde die Kontra-Haltung aufgeweicht, handelt es sich doch um zwei Städte, die gemeinsam ein Bundesland bilden.

In den Kriterien für die Bewerbung steht geschrieben, eine Region könne sich bewerben, solange eine Stadt federführend auftrete. Auf Nachfrage der taz, wer denn nun die Feder im Ruhrgebiet führe, heißt es beim Stifterverband: die „Metropole Ruhr“. Streng genommen ist die Bewerbung des Ruhrgebiets also ungültig, da eine derartige Stadt gar nicht existiert. Der Zusammenschluss der Ruhr-Städte zu einer einzigen ist eine graubärtige Utopie, auch wenn man sie im Ruhrgebiet hegt und pflegt.

Doch die Bewerbung „aus formalen Gründen“ zurückziehen, das wollte der Stifterverband dann auch nicht. Die Jury solle darüber entscheiden, denn vielleicht sei das ja auch sinnvoll, wenn eine Stadt nicht an ihren Grenzen aufhöre, sagt Michael Sonnabend, der heutige Pressesprecher beim Stifterverband. Eine Umbenennung in „Region der Wissenschaft“ lehne man trotzdem ab. Kurzum: Der Stifterverband weiß nicht so recht, was er will.

Jedenfalls macht die Sammelbewerbung Schule. Auch Aachen, der zweite Bewerber aus NRW, tritt nicht allein an, sondern kooperiert unter anderem mit dem Forschungszentrum Jülich und Partnerhochschulen aus der Euregio Maas-Rhein. Hier nimmt die ursprünglich deutsche Auszeichnung also bereits europäische Ausmaße an. Dennoch: In Aachen will man nicht von einer Sammelbewerbung sprechen. Die Stadt sei der Nucleus. „Alles andere sind lange gewachsene Strukturen“, sagt Toni Wimmer von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Im Grunde sei die Bewerbung ein „Modell für ein kleines Europa“.

Wie dem auch sei: Vielleicht steigen die Chancen, mit dem Titel dekoriert und mit bis zu 250.000 Euro bedacht zu werden, wenn man sich als Stadt noch flugs mit den Lorbeeren der Umgebung schmückt. Oder kurzerhand eine Stadt aus mehreren konstruiert. Zehn Kommunen respektive Regionen bewerben sich insgesamt, eine wird dann Ende des Jahres den Staffelstab von Dresden, der „Stadt der Wissenschaft 2006“ übernemen. Drei Bewerber kommen in die Endrunde. Welche Städte das sind, entscheidet die 14-köpfige Jury, der unter anderen WDR-Physiker Ranga Yogeshwar („Quarks & Co.“) angehört, bereits an kommenden Montag.