Die Kulturszene als Bittsteller

Mehr Transparenz, mehr Qualität: Auf dem Papier erreicht die Kulturpolitik neue Höhen. Derweil kritisiert die Kulturszene Mangel an Visionen und Kompetenz im Ressort. Ein Gespräch mit der Galeristin Katrin Rabus und der Geschäftsführerin der Shakespeare Company, Renate Heitmann

taz: Die Bremer Kulturpolitik hat, so scheint es, die Formel „Kultur als Motor der Stadtentwicklung“ parteiübergreifend verinnerlicht. Ist das für Sie mehr als eine schöne Floskel?

Renate Heitmann: Wenn man sich die jetzige Situation anguckt, hat man schon Bedenken, dass es nur eine Phrase sein könnte. Wir haben bislang wenige Politiker gehabt, die inhaltlich konkret gesagt hätten: So stelle ich mir Kulturpolitik vor. Die auch eine Reibefläche angeboten haben. Und die einfach mal in den Vorstellungen waren, so dass man sich vielleicht auch über ein künstlerisches Produkt hätte unterhalten können.

Stimmen Sie der im neuen Masterplan gestellten Diagnose zu, dass man in der Kulturförderung dringend nachvollziehbare Kriterien, mehr Transparenz und mehr Projektförderung braucht?

Heitmann: Die Diagnose ist richtig, bei der Interpretation bin ich mir nicht sicher. Wenn mir zehn Prozent weggenommen werden würden, damit ich in ein anderes Format hineinpasse, legt jemand seinen Finger auf meine künstlerische Leitung. Das kann nicht sein. Ich glaube, dass jede Kultureinrichtung ohnehin von sich aus zehn Prozent Neues erfindet, um nicht stillzustehen. Und natürlich ist jeder Kunstbetrieb auch ein Wirtschaftsbetrieb. So eine Einrichtung wie die Bremer Shakespeare Company ist ein gemeinnütziger Verein, wir können gar keine Schulden machen.

Heißt das, Sie empfinden die Kulturpolitik als misstrauisch gegenüber der Kunst?

Heitmann: Ja, das empfinde ich ganz stark so. Die ganze Debatte über das Bremer Theater ging immer dahin: Künstler können nicht rechnen. Das ist der größte Blödsinn überhaupt.

Katrin Rabus: Ich denke, dass ich zu Beginn Herrn Kastendiek gegenüber neutral war, ich sah, wie er herumging, sich nicht äußerte und fand das erst einmal positiv. Und dann kam die Geschichte mit dem Theater, wo man sagen muss: Dieser Senator ist der Tiefpunkt. Nur Zahlen zählen, Klarheit in den Zahlen. Ich finde es beschämend, einen Kultursenator zu haben, der so deutlich die Künstler angreift: Fristlose Entlassung des Geschäftsführers, Streichung des Weihnachtsgeldes - das schüchtert ein.

Herr Kastendiek selbst verweist immer wieder darauf, dass man im Theater selbst keine Verantwortung übernähme.

Rabus: Kastendiek hat sehr geschickt und populistisch das Misstrauen der politischen Elite gegen die Künste ausgenutzt, Vorurteile geschürt, mit Unterstellungen gearbeitet und so in dieser Stadt, wo die öffentliche Meinung stark von einer Zeitung geprägt ist, diese Debatte landen können. Die öffentliche Meinung richtet sich gegen das Theater und damit auch gegen Kultur insgesamt. Erst reformiert man, dann unterfinanziert man und dann kriminalisiert man.

Sie selbst haben sich lange von der offiziellen Kulturpolitik ferngehalten. Brauchten Sie kein Geld für Ihre Projekte?

Rabus: Nein. Mit dem Geld, das war mir sofort klar, kommt der Einfluss. Da muss ich Künstler, Entschuldigung, aus Riga oder Kattowitz ausstellen, und es kann zwar sein, dass die gut sind – aber ich will selbst entscheiden, was ich mache. Ich hatte da eine sehr stark freiberufliche Haltung, die hier wenig verbreitet war, auch bei den Künstlern nicht. Die fanden, dass die Stadt ihnen ein Atelier, dieses und jenes geben müsste; sie waren sehr stark fixiert auf eine beschützende Verwaltung. Das fand ich entsetzlich. Mit den Jahren habe ich umgedacht, weil die Kultur angesichts der jetzigen Verteilungskämpfe tatsächlich eine schützende Verwaltung braucht.

Es gibt kaum mehr einen Bereich, der sich nicht dem Wettbewerb stellen müsste – selbst die Universitäten und Schulen sind dort längst angekommen. Warum sollte man gerade die Kultur davon ausnehmen?

Rabus: Der Kulturbereich als Ganzes steht schon im Wettbewerb. Aber im Klima des sich Rechnens kommt es zu einer Isolierung der einzelnen Akteure und damit zu einem Qualitätsverlust. Man darf nicht sagen: Es gibt dieses Gesamtbudget, bewerbt euch. Denn die Kleinen können nur einen Entwurf schicken, während die Großen mehrere Projekte vorschlagen, von denen eines auf jeden Fall durchkommt.

Wettbewerb ist also im Kulturbereich nicht gerecht zu organisieren und darf deshalb nicht stattfinden? Oder bräuchte man nur bessere Organisatoren?

Rabus: Da käme die Verwaltung ins Spiel. Die müsste meiner Vorstellung nach der Ort sein, wo man sich beraten kann, wo man auch Projekte im Vorfeld bespricht. Dazu müssten es andere Kriterien geben als die jetzigen, die alles und nichts sagen. In der Architektur oder in der bildenden Kunst gibt es den eingeladenen Wettbewerb, bei dem man drei oder vier Künstler einlädt – in diesem Schutzraum entsteht höhere Qualität.

Wie sehen Ihre eigenen Erfahrungen mit der Kulturbehörde aus?

Rabus: Ich habe seit April ein Projekt, das im März nächsten Jahres stattfinden soll. Ich habe mich beraten lassen, bekomme den Rat: Stellen Sie den Antrag so und so. Im September stelle ich fest, dass der Rat falsch war. Er kam zwar von der Behördenleitung, aber die Sachbearbeiterin sagte: „So geht das nicht.“ Ich landete bei einer Sekretärin, die mir nur sagen konnte, wer im Urlaub und wer nicht zu sprechen ist: Die Amtsleitung vergab zwei Monate lang keine Termine, die Staatsrätin vergab keine Termine. Ich wollte den korrekten Weg gehen, das nicht mal eben beim Kaffee besprechen. Aber das ist nicht möglich.

Wenn Sie drei Wünsche an die Kulturpolitik frei hätten, was wünschten Sie sich?

Rabus: Unabhängig von den Haushaltsentscheidungen müsste es klare Termine für Anträge auf Projektmittel und ihre Befassung geben. Und die Projektmittel müssten als erste abgesichert sein, weil für die freien Projekte in der Regel noch hohe Drittmittel eingeworben werden müssten. Wenn das nicht gewährleistet ist, sollte man sich von der Projektförderung verabschieden. Ich wünschte mir einen Wahlbeamten als Kulturdezernenten, der das sechs Jahre macht, unabhängig von Koalitionswechseln. Und schließlich müsste es eine moderne Kulturbehörde geben, die die Finanzen berät und eine Fachlichkeit organisiert. Niedersachsen macht das für die freien Projekte zweimal im Jahr mit einer Kunst- und Musikkommission. Dort sind alle sehr zufrieden, man hat verlässliche Zusagen und die Qualität ist gestiegen.

Heitmann: Es müsste eine Leitung der Kulturbehörde geben, die einen Überblick hat, was im Kulturbereich entsteht. Die sich in den verschiedensten Künsten auch mal etwas anschaut und nicht nur von den Tabellen her urteilt. So wie ich auch gucken muss, wie ist der Produktionsrhythmus, wie steht das Ensemble da, was macht die Shakespeare Company im Verhältnis zu anderen Theatern aus.

Das heißt, Sie sehen die Schlüsselstelle in der Leitung der Kulturverwaltung?

Rabus: Ja, definitiv.

Heitmann: Es würde aber auch nicht schaden, wenn wir einen Kultursenator hätten, der eine große Freude an den Künsten hat. Und diese Position über die Landesgrenzen hinaus vertritt. Aber wenn man sagt, bewerbt euch um EU-Mittel, um Kooperationspartner, dann braucht man auch jemanden, der die Bremer Kultur vertritt. Und das ist ein Problem der letzten Jahre: Das alles so halbherzig ist. Und man nicht weiß, wer die Ansprechpartner sind. Am besten vervielfältigt man seinen Antrag 15 mal, dann geht er an die Kulturbehörde, dann geht er aber auch an die Deputation, an die Bremen Marketing GmbH. Es ist ein bisschen wie Topfschlagen.

Ist es Absicht, Gleichgültigkeit oder schlicht Unfähigkeit, dass sich all diese Mängel seit Jahren durchziehen?

Rabus: Ich glaube mittlerweile, dass es Absicht ist. Die Großwetterlage in der Republik geht dahin, dass viele Städte und schon ganze Länder ohne eigenständige Kulturressorts sind.

Was könnte die Bremer Kulturszene tun, außer weiter Anträge zu stellen?

Heitmann: Man müsste wieder einen Esprit entwickeln, der vermittelt: das sind wir, die Bremer Akteure. Das hat auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun.

Rabus: Von der Kulturseite erwarte ich nicht sehr viel, denn die ist von der Rolle des selbstbewusst Handelnden in die des Bittstellers gewechselt, der von undurchsichtigen Strukturen abhängig ist. Eine kluge Politik würde die Gefahren einer solchen Entwicklung erkennen und mit Transparenz und Fachlichkeit umkehren. Und damit der Kulturverwaltung mehr Verantwortlichkeit geben. Aber es fehlt an einem politischen Leitbild.

Interview: Friederike Gräff